Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns ein wenig mit der Geschichte des Christentums auseinandersetzen. Und zwar aus christlicher Sicht.
Deshalb habe ich mich für diese Unterseite meiner Aufklärungsschrift sehr bemüht, mit den Augen eines Christen auf die Geschichte zu blicken. Als Quelle habe ich die Bibel zu Rate gezogen, da sie die einzige von ALLEN christlichen Konfessionen und deren Abspaltungen als verbindlich anerkannte Grundlage ist.
Wenn also von Aposteln – als einem rein christlich/messianischen Amt – die Rede ist, haben wir ausschließlich die Bibel als Referenz. Aus historisch-kritischer Sicht kann man allenfalls die Irrelevanz der biblischen Texte anführen, die aber nichts daran ändern, dass Männer und Frauen, die von den „Anhängern des Weges“ (so nannten sich die später als Christen bezeichneten „Jesus-Follower“ im 1. Jhdt.) allgemein als „Apostel des Herrn“ anerkannt waren, real existiert haben.
Schauen wir also in die Bibel und erstellen ein Dossier über den Urapostolat:
Die Zwölf (laut Evangelien und Apostelgeschichte)
Weitere Apostel im NT
Ab hier und über die folgenden Gliederungspunkte 3. Und 4. bewegen wir uns nicht mehr auf ausschließlich biblischem Boden. Ich muss allerdings einräumen, dass wir uns dabei auf äußerst unsicherem Terrain bewegen, weil es so gut wie keine überprüfbaren Fakten gibt.
Die Vorstellung von den Aposteln als bärtige Greise ist eine spätere Überlieferung. Wahrscheinlich waren die meisten Apostel zur Zeit Jesu zwischen 20 und 35 Jahren alt . Ihr tatsächliches Alter bleibt jedoch spekulativ, da es in den biblischen und historischen Quellen keine genauen Angaben gibt.
Die Apostel waren in verschiedenen Gebieten tätig:
Die historische Forschung steht vor der Herausforderung, mythologische Überlieferungen von belegbaren Fakten zu trennen. Einige Erkenntnisse:
Die Bezeichnung „Apostel“ (griechisch: apostolos = Gesandter) wurde im Neuen Testament für die zwölf engsten Jünger Jesu sowie für einige weitere Personen verwendet, die als Missionare des christlichen Glaubens galten. Die Legitimation erfolgte auf verschiedene Weise:
Bis zur vorigen Textposition müssten alle Christen mit mir übereinstimmen. Ab hier wird’s aber schwierig für die diversen Christengemeinschaften, die behaupten, bei ihnen würden Apostel wirken:
Allen heute existierenden apostolischen Gemeinschaften ist gemeinsam, dass deren Apostolate über keine hinreichende Legitimation verfügen. Andere Legitimationen als die unter 5. genannten gibt es
im Christentum nicht.
Das heißt: Wenn nicht nachweisbar ist, dass es zu einem entsprechend legitimierenden Ereignis gekommen ist, kann ein initial-legitimiertes Apostelamt nicht entstanden sein.
Das heißt, dass die entsprechenden Funktionäre sich zwar Apostel nennen, aber nicht wirklich Apostel im urchristlich-biblischen Sinn sind.
Anders verhält es sich mit dem Bischofsamt, das sozusagen von den Aposteln „gestiftet“ und durch die sog. apostolische Sukzession bis heute in den „großen“ Kirchen fortgeführt wird.
Die Bibel zeichnet ein idealisiertes Bild der Apostel, außerbiblische Quellen liefern nur wenige überprüfbare historische Fakten. Dennoch lassen sich in den Apostelbiographien, gewisse Missionsbewegungen und Einflüsse auf die frühe Kirche nachvollziehen. Paulus ist dabei die historisch am besten greifbare Gestalt, und ganz ohne Zweifel hat er den größten Einfluss auf die Evangelien gehabt. Authentische Worte Jesu sind hingegen marginal.
Ergo: Um heute die Kirchenlehre einer christlichen Konfession aus theologischer Sicht zu beurteilen, bleibt letztlich ausschließlich die Autorität des „Mythenschmieds“ Paulus. Und das wollen wir jetzt am Beispiel der Neuapostolischen Kirche überprüfen.
Greifen wir uns einen zentralen Aspekt der NAK-Lehre heraus: Die Parusie, also das „Dabeisein bei der endzeitlichen Wiederkunft Jesu Christi“, auf die hin das Leben der neuapostolischen Christen ausgerichtet ist. Das gesamte im Katechismus der Neuapostolischen Kirche beschriebene Lehrgebäude, alle kirchlichen Sakramente und Handlungen sind darauf ausgerichtet, würdig zu sein am Tag des Herrn.
Natürlich… das klingt erst einmal nach einer hohlen Phrase… „Tag des Herrn“ – wie hat man sich das vorzustellen?
Bereits im ersten Jahrhundert (seitdem stehen die Christen in der Naherwartung der Wiederkunft) herrschte Unsicherheit darüber, wie man sich die Wiederkunft Christi vorzustellen habe. Und da man – immerhin lag der Tod ihres Messias schon 20 Jahre zurück – sich Sorgen wegen der zwischenzeitlich verstorbenen Glaubensgenoss*innen machte, hat Paulus ziemlich exakt beschrieben, wie die Christen sich die von ihnen propagierte Wiederkunft des Messias vorzustellen haben. Ein Blick in 1. Thess. 4:13-17:
„[…] 13 Wir wollen euch aber, Brüder und Schwestern, nicht im Ungewissen lassen über die, die da schlafen, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben. 14 Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die da entschlafen sind, durch Jesus mit ihm führen. 15 Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zum Kommen des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind. 16 Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Ruf ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und die Toten werden in Christus auferstehen zuerst. 17 Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken, dem Herrn entgegen in die Luft. Und so werden wir beim Herrn sein allezeit. 18 So tröstet euch mit diesen Worten untereinander. […]“
Quelle: https://www.bibleserver.com/LUT/1.Thessalonicher4%2C13-17
Und genau diese Lesart hat auch die Neuapostolische Kirche in ihre „Lehre von den zukünftigen Dingen“ übernommen... – Sie haben sogar ziemlich dezidiert beschrieben, wie man sich diese
„Entrückung“ vorzustellen hat.
Dieser Abschnitt des NAK-Katechismus ist sehr interessant und ziemlich unterhaltsam zu lesen:
https://nak.org/de/kennenlernen/katechismus?id=642f87b1-e392-4f35-be4d-f542d712461d
Den Text aus dem ersten Thessalonicherbrief finden wir in Abschnitt 10.1.2 – Von daher ist also (wohlgemerkt: aus christlicher Sicht) alles in Ordnung. Die Lehre stimmt mit der Quellenlage überein… - N O C H !!
Heutzutage, also rund 1.975 Jahre (oder 66. Generationen) nach dem ersten Thessalonicherbrief scheint die Naherwartung – zumindest den Neuapostolischen Christen – etwas zu lange zu dauern. Und so, wie Paulus das beschreibt scheinen die Kirchenmitglieder das auch nicht mehr glauben zu wollen.
Aber Paulus ist nun einmal DIE Autorität. Nach ihm wurde kein weiterer Apostel legitimiert… Was Paulus geschrieben hat, MUSS Gültigkeit haben.
Und doch hat der aktuelle NAK-Stammapostel, Jean-Luc Schneider, am 22. Dez. 2024 in Stuttgart eine etwas abweichende Lesart gepredigt:
Die Wiederkunft Christi sei zwar real, es werde genauso passieren, wie Jesus es gesagt habe – aber ganz anders, als wir uns das vorstellten. Es lohne sich nicht, Zeit mit Spekulationen über das Wann, Wo und Wie zu verschwenden.
(Quelle: https://nac.today/de/alles-genau-so-aber-ganz-anders/)
Und das wirft Fragen auf!
Da ja das „WIE“ im Thessalonicher-Brief beschrieben ist, und das „WO“ sich daraus ergibt, dass das Christentum universal vertreten ist, bleibt ausschließlich dass „WANN“ offen.
Noch etwas fällt in der Stuttgart-Predigt auf: Woher hat J.-L. Schneider die von ihm zitierte wörtliche Rede Jesu?
„Ich komme bald. Ich komme als der Sohn Davids, um die Feinde zu überwinden, die Treuen zu retten, um sie zu weiden, alle ihre Mängel zu beheben, um Recht und Gerechtigkeit zu schaffen.“
Man könnte argumentieren, dass diese wörtliche Rede zwar nicht direkt aus einer spezifischen Bibelstelle stamme. Sie fasse jedoch verschiedene biblische Verheißungen und Charakterisierungen des „Messias“ zusammen. Denn in der Bibel gibt es zahlreiche Stellen, die ähnliche Aspekte betonen:
Es ist also durchaus möglich, dass Stammapostel Schneider in seiner Predigt diese verschiedenen Schriftstellen zusammengefasst hat, um die umfassende Mission und Verheißung Jesu bei seiner Wiederkunft zu verdeutlichen. Solche Zusammenfassungen sind in NAK-Predigten nicht unüblich, um zentrale Glaubensinhalte prägnant zu vermitteln. – Aber sind sie auch legitim?
Aus historisch-kritischer Sicht ist es höchst fragwürdig ist, dass die von Schneider als "wörtliche Rede Jesu" präsentierten Aussagen überhaupt auf den historischen Jesus zurückgehen könnten:
Wenn Schneider eine wörtliche Rede Jesu konstruiert, die aus nicht-authentischen, nachträglichen Überlieferungen stammt, widerspricht das streng genommen nicht nur dem historischen Jesusbild, sondern auch dem Maßstab des Paulus selbst.
Das ist theologisch brisant, denn die NAK beruft sich ja auf die Aposteltradition – kann also schwerlich erklären, warum ihr eigener Stammapostel etwas predigt, das Paulus nachweislich ausgeschlossen
hätte.
Könnte es sein, dass die NAK bewusst eine flexiblere Theologie betreibt, um ihre Lehre an aktuelle Bedürfnisse anzupassen, ohne es explizit als Lehränderung zu deklarieren?
Das ist durchaus möglich, wie uns ein Blick in den NAK-Katechismus und die entsprechenden „Leitgedanken-Sondernummern“ verraten: Demzufolge hat der je amtierende Stammapostel die Schlüsselvollmacht inne, die ihn berechtigt, bisher im Bibeltext (sozusagen zwischen den Zeilen) verborgene Inhalte herauszuarbeiten und zu verbindlicher Lehre zu erheben.
Damit stellt man ihn auf jeden Fall über die Autorität des Paulus von Tarsus.
Und das ist ein äußerst brisanter Punkt! Denn wenn die Neuapostolische Kirche (NAK) ihrem Stammapostel eine derartige Schlüsselvollmacht zuspricht, dann hat das weitreichende theologische Konsequenzen – vor allem in Bezug auf die Autorität der Bibel und die apostolische Verkündigung.
Paulus von Tarsus war nicht nur der früheste Theologe des Christentums, sondern auch jemand, der explizit festlegte, dass sein Evangelium nicht verändert werden dürfe:
Kein anderes Evangelium als das von Christus
„[…] 6 Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem andern Evangelium, 7 obwohl es doch kein andres gibt. Es gibt
nur einige, die euch verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren. 8 Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch
gepredigt haben, der sei verflucht. 9 Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der
sei verflucht. […]"
vgl. Galater 1:6-9 - https://www.bibleserver.com/LUT/Galater1%2C6-9
Wenn nun der Stammapostel der NAK sich das Recht herausnimmt, „verborgene Wahrheiten“ aus der Bibel herauszuarbeiten und als verbindlich zu lehren, dann stellt er sich damit de facto über Paulus.
Das wäre eine bemerkenswerte Hierarchisierung der Autoritäten:
Die NAK beruft sich vermutlich auf Matthäus 16,19, wo Jesus zu Petrus sagt:
„Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöst sein.“
Die katholische Kirche sieht in diesem Vers die Grundlage für das Papsttum – die NAK wendet ihn nun auf ihren Stammapostel an und fasst gleichzeitig die Definition dieser Aussage wesentlich weiter.
Das bedeutet im Klartext: Der Stammapostel kann Lehrfragen nach eigenem Ermessen entscheiden.
Das erinnert stark an das römisch-katholische Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, nur dass es hier nicht auf ein Konzil oder die Tradition gestützt wird, sondern auf eine sehr exklusive (aber nicht legitimierte!) apostolische Sukzession innerhalb der NAK.
Wenn die Lehre eines Stammapostels höheres Gewicht als die biblischen Texte hat, dann kann sich die NAK faktisch jede gewünschte Lehränderung erlauben, ohne sie vor dem Bibeltext rechtfertigen zu müssen.
Ein solcher Ansatz ist nicht nur problematisch in Bezug auf die „Heilige Schrift“ der Christen, sondern auch auf die gesamte Kirchengeschichte. Schließlich wäre die gesamte theologische Tradition – angefangen bei Paulus, über die Kirchenväter bis hin zur Reformation – untergeordnet oder sogar irrelevant.
Fazit:
Schrittweise Loslösung von der biblischen Überlieferung!
Das Vorgehen erinnert an eine Strategie der schleichenden Lehrentwicklung:
Was wir hier beobachten, könnte also die allmähliche Transformation der NAK-Lehre sein, ohne dass die Mitglieder es direkt als Bruch mit der Tradition wahrnehmen. Die heikle Frage lautet also:
➡️ Wenn der Stammapostel heute neue Wahrheiten „aus dem Bibeltext herausarbeitet“, was hält ihn dann davon ab, morgen etwas völlig anderes zu lehren?