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Christentum und Grundbesitz?

... beginnen wir mit Rousseau:

„Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft.

 

Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.‘“

Jean-Jacques Rousseau in

Diskurs über den Ursprung und die Grund=
lagen der Ungleichheit unter den Menschen

(ersch. 1755 bei Verlag Marc-Michel Rey in Amsterdam)

Was sagt die jesuanische Lehre zum Thema Grundeigentum?

Eine spannende Frage, bei der es darauf ankommt, zwischen dem historischen Jesus und der theologischen Interpretation seiner Lehre durch spätere Autoren, insbesondere Paulus, zu unterscheiden.

Der historische Jesus und Grundbesitz

Wenn wir uns auf die ältesten und wahrscheinlich authentischsten Jesusworte stützen, zeichnet sich eine klare Haltung gegenüber Reichtum und Eigentum ab:

  • Besitzlosigkeit als Ideal: Jesus forderte seine Anhänger mehrfach auf, ihren Besitz aufzugeben:
    • „Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen“ (Mk 10,21).
    • „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt“ (Mt 6,25).
    • „Selig ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes“ (Lk 6,20).
  • Misstrauen gegenüber Reichtum : In mehreren Gleichnissen warnt Jesus davor, dass Reichtum den Zugang zum „Reich Gottes“ erschwert:
    • „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Mk 10,25).
    • Das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lk 12,16–21) zeigt, dass das Anhäufen von Besitz sinnlos ist, wenn der Tod jederzeit eintreten kann.
  • Radikale Ethik des Teilens : Die jesuanische Urgemeinde in Jerusalem (Apg 2,44–45) praktizierte eine Gütergemeinschaft

Besitz und soziale Ordnung                          in der paulinischen Theologie

Die paulinische Theologie markiert einen klaren Bruch mit der radikalen Besitzkritik des historischen Jesus. Paulus, der das Christentum aus einer jüdischen Endzeitsekte in eine universale Heilsbotschaft umformte, modifizierte die Lehre Jesu in mehreren Punkten – insbesondere in Bezug auf Eigentum und gesellschaftliche Ordnung.

Paulus war kein Revolutionär im wirtschaftlichen oder sozialen Sinne. Während Jesus eine radikale Besitzlosigkeit predigte, trat Paulus seine Botschaft an die bestehende römische Gesellschaft an:

  • Eigentum wird nicht abgelehnt : Anders als Jesus fordert Paulus nicht dazu auf, Besitz aufzugeben. Im Gegenteil, er betont, dass Gläubige weiter in der bestehenden Ordnung leben sollen:
    • „Jeder bleibe in dem Stand, in dem er berufen wurde“ (1. Kor 7,20–21).
    • „Wir haben euch geboten: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ (2. Thess 3,10).
  • Arbeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit : Paulus betont die Bedeutung von Arbeit und fordert dazu auf, sich durch ehrliche Arbeit selbst zu erhalten:
    • „Bemüht euch, ein ruhiges Leben zu führen, eure eigenen Angelegenheiten zu besorgen und mit euren eigenen Händen zu arbeiten, wie wir es euch geboten haben“ (1. Thess 4,11).
    • Diese Haltung unterscheidet sich stark von Jesu Forderung nach vollständigem Verzicht auf Besitz.
  • Milde Form der Solidarität : Während Jesus eine radikale Gütergemeinschaft propagierte („Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen“ – Mk 10,21), spricht Paulus eher von Spenden und gezielter Unterstützung Bedürftiger. Ein Beispiel dafür ist die von ihm organisierte Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde :
  • Freiwillige Mildtätigkeit statt Pflichtverzicht : Paulus fordert die Gemeinden auf, regelmäßig Spenden für die ärmeren Christen in Jerusalem zu sammeln (2. Kor 8–9), macht aber deutlich, dass dies freiwillig geschehen soll:
    • „Jeder gebe, wie er es sich im Herzen gemacht hat, nicht widerwillig oder aus Zwang, denn ein fröhlicher Geber liebt Gott“ (2. Kor 9,7).
    • Das ist ein deutlicher Unterschied zur jesuanischen Forderung, alles zu verkaufen und den Armen zu geben.
  • Pragmatische Sozialethik statt radikale Besitzkritik :
    • Paulus sieht Arbeit und wirtschaftliche Selbstständigkeit als erstrebenswert an (1. Thess 4,11).
    • Wohlhabendere Gemeindemitglieder werden nicht kritisiert, sondern eher als potenzielle Unterstützer angesehen.
    • Besitz wird nicht als Hindernis für das Heil betrachtet, solange er nicht zum Götzen wird (1. Tim 6,10: „Die Wurzel alles Bösen ist die Geldliebe“).

Jesuanische Besitzkritik                                                  ./.                                                paulinische Anpassung

Der historische Jesus lehnte Besitz radikal ab und forderte völlige Besitzlosigkeit sowie eine enge Gütergemeinschaft unter seinen Anhängern. Sein Fokus lag auf einer baldigen göttlichen Zeitenwende, bei der weltlicher Besitz bedeutungslos wäre.

 

Paulus passt stattdessen das Christentum an die gesellschaftlichen Realitäten des Römischen Reiches an. Er propagierte keine radikale Besitzaufgabe, sondern betonte Arbeit, wirtschaftliche Eigenverantwortung und eine gemäßigte Form der Mildtätigkeit. Reichtum war für ihn nicht grundsätzlich problematisch, solange er nicht zur Habgier führte.

 

Letztlich führte diese pragmatische Haltung dazu, dass das Christentum für breitere Gesellschaftsschichten attraktiv wurde – einschließlich wohlhabender Anhänger –, während die radikalen jesuanischen Besitzkritiker (wie die Jerusalemer Urgemeinde) wirtschaftlich nicht überlebensfähig waren.

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am 01.01.2025

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