Paulus, der eigentlich Sha'ul (oder lateinisch: Saulus) hieß, war ein Jude aus Tarsus, einer Stadt im heutigen Türkei. Er war gebildet, sprach Griechisch und war stolz darauf, sowohl römischer Bürger als auch Jude zu sein. Obwohl Paulus heute als einer der wichtigsten Menschen im Christentum gilt, war er nie ein direkter Jünger von Jesus. Tatsächlich begann seine Geschichte ziemlich anders: Er war ein Gegner der Jesus-Anhänger… sagt er selbst jedenfalls.
Er behauptete allerdings auch von sich, dass er Pharisäer gewesen sei. Das betrachten kritische Wissenschaftler jedoch als unglaubwürdig.
Die Pharisäer galten zur Zeit Jesu und auch in den Jahrzehnten danach als eine gemäßigte Gruppierung, die die Tora so auslegte, dass sie für die Menschen praktikabel war (z. B. mit dem Konzept der „mündlichen Überlieferung“). Ihre Lehren standen in vielen Punkten der Botschaft Jesu nahe:
Die Beschreibung der Pharisäer als „Feinde Jesu“ in den Evangelien ist daher wohl stark polemisch und spiegelt eher die Spannungen zwischen Paulus und ihnen oder diejenigen späterer Generationen wider. Es gibt im Gegenteil eine Reihe von Wissenschaftlern, die der Meinung sind, Jesus sei selbst ein Pharisäer gewesen.
Nach dem Tod Jesu war die Gruppe seiner Anhänger klein und vor allem in Jerusalem aktiv. Sie nannten sich damals nicht "Christen", sondern "Anhänger des Weges". Sie glaubten nicht, dass Jesus der Messias war, und sie sahen sich zwar als Reformer aber weiterhin als Teil des Judentums. Paulus war zunächst überzeugt, dass diese Gruppe falsch lag und das jüdische Gesetz (die Tora) bedrohte.
Paulus behauptete später selbst, dass er die Jesus-Anhänger verfolgte, um ihre Gemeinschaft zu zerstören. Doch wie weit diese Verfolgung wirklich ging, ist unklar. Es ist unwahrscheinlich, dass Paulus eine Art "Chefverfolger" war. Wahrscheinlich wollte er verhindern, dass diese neue Bewegung größer wurde.
Paulus’ Leben nahm eine plötzliche Wendung. Laut der Apostelgeschichte war er auf dem Weg nach Damaskus, um dort Jesus-Anhänger festzunehmen, als er ein blendendes Licht sah und zu Boden fiel. Er hörte angeblich die Stimme Jesu, die zu ihm sagte: "Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?" Danach war er für einige Tage blind.
Aber was war das wirklich? Einige glauben, dass Paulus einen epileptischen Anfall oder eine andere gesundheitliche Krise hatte. Sicher ist nur, dass dieses Erlebnis Paulus’ Denken komplett veränderte. Von diesem Zeitpunkt an sah er sich selbst als "Apostel des Christus" – auch wenn er Jesus nie persönlich begegnet war.
Ob nun Fake oder Wahrheit oder etwas dazwischen: Bitte vergesst bei Eurer Bewertung nicht, dass uns ausschließlich das Selbstzeugnis des Paulus in seinen Briefen zur Verfügung steht. Die einzige andere Quelle, die wir kennen, ist die eben erwähnte Apostelgeschichte nach Lukas. Die ist aber frühestens im Jahr 65 n.Chr. entstanden – und da war Paulus bereits tot.
Nach seinem Erlebnis begann Paulus, die Botschaft von Jesus zu verkünden. Aber woher wusste er, was er predigen sollte? Er behauptete, seine Lehre direkt durch eine Offenbarung von Jesus erhalten zu haben. Doch mit ziemlicher Sicherheit hat er die Ideen von Anderen übernommen:
Es gibt Historiker, die sagen, dass Paulus mehr als Jesus selbst der Begründer des Christentums war. Warum? Weil Paulus die Botschaft von Jesus komplett neu interpretierte. Jesus hatte vom Reich Gottes gesprochen, das hier auf der Erde kommen sollte. Paulus machte daraus eine Botschaft über die Rettung der Seele und das ewige Leben nach dem Tod.
Während die ursprünglichen Jünger Jesu in Jerusalem blieben und sich weiterhin an die Tora hielten, verbreitete Paulus die Lehre von Jesus in der gesamten griechisch-römischen Welt. Seine Briefe an Gemeinden wie die in Korinth, Galatien und Rom wurden später ein wichtiger Teil der Bibel.
Doch gleichzeitig stellte Paulus die ursprüngliche Botschaft von Jesus auf den Kopf. War das ein Verrat oder eine Weiterentwicklung? Diese Frage bleibt offen – und ist spannend für alle, die sich mit Religion und Geschichte beschäftigen wollen.
Wenn die ursprünglichen Jünger Jesu tatsächlich keine messianische Vergottung Jesu betrieben haben, sondern ihn eher als einen menschlichen Lehrer und Reformpropheten sahen, dann musste Paulus eine regelrechte „Theologische Neuausrichtung“ durchsetzen, um seine Vorstellung von Jesus als dem „Christus“ (griechisch für Messias) bei den „Anhängern des Weges“ unterzubringen.
Wie er das geschafft hat? Hier ein paar Überlegungen:
Paulus war ein brillanter Redner und Theologe, der wusste, wie man Argumente überzeugend präsentierte. Er könnte seine Theologie so geschickt formuliert haben, dass sie auf den Schriften des Alten Testaments aufbaute (zum Beispiel auf Prophezeiungen wie Jesaja 53, das Bild des leidenden Gesetzes). Indem er Jesus mit diesen Prophezeiungen in Verbindung brachte, konnte er ihn als den erwarteten Messias darstellen, obwohl diese Idee für den ursprünglichen Jünger Jesu vielleicht fremd war.
Im Judentum war die Vorstellung eines leidenden oder gar gekreuzigten Messias ein Widerspruch in sich. Der Messias sollte ein siegreicher Befreier sein, kein Verlierer. Paulus löste dieses Problem, indem er den Tod Jesu am Kreuz nicht als Scheitern, sondern als Teil von Gottes Plan zur Rettung der Welt darstellte. Er machte das Kreuz zu einem Zeichen des Sieges. ein genialer, aber radikaler Gedanke.
Doch die „Anhänger des Weges“, die Jesus persönlich kannten, dürften Schwierigkeiten gehabt haben, das zu akzeptieren. Es ist gut möglich, dass Paulus bei diesen Gruppen starken Widerstand erlebte. In Galater 2 können wir über Konflikte beispielsweise zwischen Paulus und Petrus (Kephas) lesen. Das bedeutet, dass es Spannungen zwischen den ursprünglichen Jüngern und Paulus‘ radikalen Ideen gab.
Ein entscheidender Punkt ist, dass Paulus sich wohl nicht vorrangig an diejenigen Jünger*innen aus den engsten Kreisen um Jesus wandte. Viele der „Anhänger des Weges“ waren aramäischsprachige Juden in und um Jerusalem, während Paulus vor allem unter griechischsprachigen Juden und Heiden missionierte. Diese Gruppen kannten Jesus nicht persönlich und hatten keine „vorbelastete“ Vorstellung von ihm. Für sie war Paulus' Theologie wahrscheinlich einfacher zu akzeptieren.
Paulus stellte sich gerne als Schriftgelehrter dar, der das Alte Testament (die Tora und die Propheten) in einem neuen Licht interpretierte. Er behauptete, dass Jesus der von den Propheten verheißene Messias sei und dass sein Tod und seine Auferstehung das Zentrum von Gottes Plan zur Rettung der Welt bildeten. Diese Argumentation war nicht nur kreativ, sondern auch für viele überzeugend, besonders für diejenigen, die weniger stark in den traditionellen jüdischen Erwartungen verankert waren.
Die „Anhänger des Weges“, die Jesus persönlich kannten, blieben wahrscheinlich bei ihrer eigenen Sicht. Jakobus, der Bruder Jesu, und Petrus hielten nach allem, was wir wissen, an der Idee fest, dass Jesus ein von Gott gesandter Prophet oder Lehrer war. Dass Paulus die Jesusbewegung so stark veränderte, führte wohl zu einer Spaltung zwischen der Jerusalemer Urgemeinde und den hellenistischen Gemeinden, die Paulus gründete. Die „Ur-Jesus-Anhänger“ gerieten später durch die Dominanz der paulinischen Theologie ins Abseits.
Paulus ist eine der faszinierendsten Figuren der Geschichte. Er war ein gebildeter Jude, der zunächst gegen die Jesus-Anhänger kämpfte, dann aber zu ihrem eifrigsten Missionar wurde.
Er war ein Meister darin, verschiedene Elemente jüdischer Tradition, hellenistischer Philosophie und seine eigene Vision zu einer Botschaft zu neuen Lehren zu vereinen. Er „verkaufte“ die Messias-Idee wahrscheinlich weniger an die engen Jünger Jesu, sondern an ein größeres, vielfältiges Publikum, das Jesus nicht persönlich kannte. Für sie war es weniger entscheidend, ob die Idee historisch korrekt war, sie musste vor allem Sinn geben und Hoffnung schenken.
Seine Ideen veränderten die Welt und legten den Grundstein für das, was wir heute Christentum nennen.