Die ersten Christen nannten sich selbst „Anhänger des Weges“ und verstanden sich als Gemeinschaft von Gläubigen, die Jesus als Messias und Sohn Gottes verehrten. – So jedenfalls wurde es mir noch
in der sog. „Sonntagsschule“ beigebracht. Und wir sangen voller Inbrunst das Lied
Und besonders inbrünstig die zweite Strophe:
Und drohte feindlich alle Welt
mit Ketten Schwert und Flammen,
die Brüder hielten treu gesellt,
nur inniger zusammen.
Beim Liebesmahl im lichten Saal
wie in des Kerkers Höhle:
Man brach das Brot – man ging zum Tod,
ein Herz und eine Seele.
Die Bewegung bestand aus zwei Hauptströmungen: Den Jesus-Followern, die stark von jüdischen Traditionen geprägt waren, und den Paulus-Followern, die die paulinische Lesart stärker in die
nicht-jüdische, griechisch-römische Welt trugen.
Nach dem Tod des Paulus (vermutlich um 64 n. Chr.) und besonders nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr. Chr., stand die junge Bewegung vor massiven Herausforderungen.
Sowohl interne Spannungen als auch äußere politische und religiöse Formen bilden ihre Entwicklung.
Paulus, der vielleicht einflussreichste Missionar des frühen Christentums, starb vermutlich um das Jahr 64 n. Chr. während der Christenverfolgungen unter Kaiser Nero in Rom. Zu diesem Zeitpunkt
waren die frühchristlichen Gemeinden noch keine einheitliche Bewegung. Stattdessen bestanden sie aus verschiedenen Gruppen, die oft sehr unterschiedliche Ansichten darüber hatten, wie man Jesus und
seine Lehre verstehen sollte.
Die Jesus-Follower waren meist jüdisch geprägte Christen, die den mosaischen Gesetzen weiterhin folgten. Sie sahen Jesus als einen von Gott gesandten Propheten, blieben jedoch stark in der
jüdischen Tradition verwurzelt.
Die Paulus-Follower hingegen betonten die universale Bedeutung von Jesu Tod und Auferstehung. Sie waren oft heidenchristlicher Herkunft und hielten die Einhaltung der jüdischen Gesetze für nicht
notwendig. Dieser Gegensatz sorgte für Spannungen innerhalb der Bewegung.
Der jüdisch-römische Krieg (66–70 n. Chr.) und die Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahr 70 waren ein einschneidendes Ereignis für alle Juden, auch für die frühen Jesuanisten und
Paulinisten. Die Zerstörung des Tempels bedeutete das Ende des zentralen Kultzentrums des Judentums. Viele jüdische Christen mussten ihre Identität und ihren Glauben neu definieren. Die Kluft
zwischen den Jesus-Followern und den Paulus-Followern vertiefte sich in dieser Zeit, da die paulinischen Gemeinden bereits unabhängiger von den jüdischen Traditionen agierten.
Die Evangelien wurden erst nach der Tempelzerstörung verfasst, wahrscheinlich zwischen 70 und 100 n. Chr. Sie spiegeln nicht nur die Erinnerung an Jesus wider, sondern auch die Herausforderungen
und Konflikte ihrer Zeit. Außerdem sind sie eindeutig paulinisch geprägt und treiben die Vergottung von Jesus voran. Nach der Zerstreuung der jüdischen Jesus-Gemeinden konnte der Paulinismus so durch
die Evangelien an Einfluss gewinnen.
Es kursierten in dieser Zeit eine ganze Reihe von Evangelien, von denen später aber lediglich vier in der Bibel – genauer im Neuen Testament - aufgenommen wurden:
- Das Markusevangelium (ca. 70 n. Chr.) ist vermutlich das älteste. Es wurde in einer Zeit verfasst, als die Christen angesichts der Zerstörung Jerusalems und der Verfolgungen
dringend Ermutigung brauchten.
- Das Matthäusevangelium (ca. 80–90 n. Chr.) richtet sich vor allem an eine jüdisch geprägte Gemeinde und versucht, Jesus als die Erfüllung der jüdischen Schriften
darzustellen.
- Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte (ca. 80–90 n. Chr.) konzentrieren sich auf die Universalität des christlichen Glaubens und die Ausbreitung der Botschaft von
Jerusalem bis nach Rom.
- Das Johannesevangelium (ca. 90–100 n. Chr.) bietet eine sehr theologische Perspektive und hebt Jesu göttliche Natur hervor.
Nach dem Tod von Paulus und der Zerstörung des Tempels verlieren sich die Spuren vieler der zwölf Apostel, wodurch die Lehre des Paulus zentraler wurde. Genaugenommen, wissen wir so gut wie nichts
über das Leben der 12 Apostel:
- Petrus soll in Rom als Märtyrer gestorben sein, vermutlich um 64 n. Chr. – Es ist aber höchst umstritten, ob er tatsächlich je nach Rom gelangt ist
- Johannes, der angebliche Evangelist und Verfasser der „Offenbarung“, wird oft mit der Gemeinde in Ephesus in Verbindung gebracht. Er soll als Einziger der Zwölf eines natürlichen
Todes gestorben sein, etwa gegen Ende des ersten Jahrhunderts.
- Jakobus, der Sohn des Zebedäus, wurde laut Apostelgeschichte um 44 n. Chr. hingerichtet.
- Jakobus, der Bruder Jesu, der eine zentrale Rolle in der Gemeinde in Jerusalem spielte, wurde vermutlich um das Jahr 62 n. Chr. getötet.
- Thomas: Legenden berichten, dass er in Indien missionierte und dort den Märtyrertod erlitt.
Zu den anderen Aposteln gibt es nur legendenhafte Berichte über ihre Tätigkeiten und ihren Tod. Diese Berichte entstanden meist erst Jahrhunderte später und sind daher historisch kaum
greifbar.
Die frühen Christen lebten in einer Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit. Die Zerstörung Jerusalems und die zunehmende Verfolgung durch das Römische Reich zwangen die Gemeinden, ihren Glauben
und ihre Struktur neu zu definieren. Inmitten dieser Herausforderungen entstanden die Evangelien, die nicht nur über das Leben Jesu berichten, sondern auch den Glauben der jungen Gemeinden stärken
sollten. Die Apostel selbst wurden zu Symbolfiguren, deren Taten und Schicksale in den Evangelien und in der Erinnerung und den Legenden der Kirche weiterlebten.
Die frühchristlichen Gemeinden waren über das Römische Reich verteilt, vor allem in den östlichen Provinzen. Hier ein Blick auf einige wichtige Gemeinden:
- Jerusalem
Nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr. Chr. wurde die Jerusalemer Gemeinde deutlich geschwächt, blieb jedoch als judenchristliches Zentrum erhalten. Diese Gemeinde betont die Treue zum jüdischen Gesetz
(Tora) und sah Jesus als jüdischen Messias, aber ohne ihn als Gottheit zu verehren. Ihr Einfluss nahm mit der Zeit ab, besonders durch den wachsenden Einfluss der Heidenchristen
- Antiochia
Antiochia war eines der bedeutendsten Zentren der Heidenmission und ein Schmelztiegel für unterschiedliche christliche Strömungen. Hier wurden zum ersten Mal die Jesus-Anhänger „Christen“ genannt
(Apg 11,26). Paulus war hier aktiv, und die Gemeinde spielte eine Schlüsselrolle bei der Frage, ob Nichtjuden sich an die jüdischen Gesetze halten müssen
- Rom
Rom wurde nach der Richtung von Petrus und Paulus (ca. 64 n. Chr.) ein Zentrum der Christenheit im Westen. Die dortige Gemeinde war stark heidenchristlich geprägt. Sie musste sich in einer
feindlichen Umgebung behaupten, insbesondere während der Christenverfolgungen unter Nero
- Ephesus
Ephesus war ein wichtiger Knotenpunkt in Kleinasien, an dem sowohl Paulus als auch der Evangelist Johannes gewirkt haben sollen. Hier existierte eine große heidenchristliche Gemeinde, die Einfluss
auf die gesamte Region hatte. Später wurde Ephesus ein Zentrum für die johanneische Theologie, die in das Evangelium nach Johannes mündete
- Korinth
Die Korinthergemeinde, die Paulus selbst gegründet hatte, war eine der konfliktreichsten Gemeinden. Sie war geprägt von inneren Spaltungen, theologischen und moralischen Kontroversen und Fragen.
- Philippi, Thessaloniki und andere Gemeinden in Makedonien
Diese Gemeinden waren eng mit Paulus verbunden. Sie waren meist heidenchristlich geprägt, litten aber oft unter Verfolgungen und mussten ihren Glauben in einem schwierigen Umfeld leben
- Kleinasien (z. B. Pergamon, Smyrna, Laodizea, Sardes)
Diese Städte, die in der Offenbarung des Johannes erwähnt werden (Kap. 2–3), hatten blühende christliche Gemeinden. Die Offenbarung zeigt, dass diese Gemeinden mit internen Konflikten, Verfolgung und
Anpassungsdruck an die römische Gesellschaft zu kämpfen hatten
Die frühen christlichen Gemeinden waren alles andere als einheitlich. Es gab zahlreiche theologische und kulturelle Konflikte, die Bewegung spalteten. Hier sind einige der wichtigsten
Strömungen
- Judenchristen vs. Heidenchristen
- Judenchristen hielten an der Tora und den jüdischen Traditionen fest. Sie sahen Jesus als den von Gott gesandten Propheten
- Heidenchristen hingegen verstanden das Christentum als universelle Botschaft für alle Menschen, unabhängig vom jüdischen Gesetz. Diese Gruppe wurde durch Paulus geprägt und setzte sich langsam
durch.
- Gnostische Strömungen
- Gegen Ende des 1. Jahrhunderts entstanden gnostische Bewegungen innerhalb der Gemeinden. Sie sahen die Welt als fehlerhaft oder böse, erschaffen von einem minderwertigen Gott, und betonten das
Geheimwissen (Gnosis) als Schlüssel zur Erlösung. Die gnostischen Christen interpretieren Jesus oft als himmlisches Wesen, das den Menschen die wahre Erkenntnis brachte
- Johanneische Strömung
- In Ephesus und Umgebung entwickelte sich eine theologische Ausrichtung, die in den Schriften des Johannesevangeliums und der Johannesbriefe sichtbar wird. Diese Strömung legte großen Wert auf
Jesus als göttlichen Logos und auf die innere, spirituelle Verfasstheit
- Paulinische Theologie
- Paulus betonte die Rechtfertigung aus Gnade und Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes. Seine Anhänger sahen das Christentum als universelle Religion, die das jüdische Gesetz überwunden
hatte. Diese Sichtweise steht im Konflikt mit den Judenchristen.
- Apokalyptische Gruppen
- Viele frühe Christen erwarteten eine baldige Rückkehr Jesu und das Kommen des Reiches Gottes. Diese apokalyptische Erwartung prägte insbesondere Gemeinden in schwierigen Verfolgungssituationen,
wie die Gemeinden in Kleinasien (vgl. Offenbarung).
- Frühe Häresien
- Strömungen wie der Doketismus (die Ansicht, dass Jesus nur scheinbar menschlich war) und der Ebionitismus (eine strikt judenchristliche Ausrichtung) traten
bereits im 1. Jahrhundert auf. Diese Strömungen wurden von der aufkommenden „orthodoxen“ Kirche abgelehnt.
Die Gemeinden gegen Ende des 1. Jahrhunderts waren ein buntes Mosaik aus Kulturen, Traditionen und Theologien. Sie standen vor der Herausforderung, eine gemeinsame Identität zu finden, während sie
sich mit internen Konflikten und externem Druck auseinandersetzen mussten. Aus dieser Zeit gingen sowohl die ersten schriftlichen Dokumente der christlichen Tradition hervor als auch die Grundlagen
für die spätere Ausprägung der kirchlichen Orthodoxie. Die Vielfalt und Dynamik dieser Zeit machte das Christentum zu einer kraftvollen, aber auch zerrissenen Bewegung.