Ich weiß nicht, wie Eure Erfahrungen sind… Bei mir war es jedenfalls so, dass ich sowohl im schulischen Religionsunterricht als auch in der sog. Sonntagsschule schon ziemlich früh über diese „Tempelreinigung des Herrn Jesus“ unterrichtet wurde. Das war in der Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts – und dementsprechend kamen die Juden dabei sehr, aber auch schon wirklich seeeehr schlecht weg. Zu Unrecht! Aber Eines nach dem Anderen:
Die „Tempelreinigung“ wird in allen vier Evangelien erwähnt, aber mit kleinen Unterschieden:
Jesus stört sich daran, dass im Tempelvorhof Händler und Geldwechsler tätig sind. Es wurden dort Tiere verkauft (z. B. Tauben oder Lämmer), die die Pilger als Opfergaben für den Tempeldienst benötigten. Außerdem gab es Geldwechsler, da man nur mit der speziellen Tempelwährung bezahlen konnte, nicht mit „heidnischen“ Münzen. Diese Praxis war gängig und notwendig, um den Tempelbetrieb aufrechtzuerhalten.
Jesus wirft ihnen jedoch vor, den Tempel zu einem „Räuberhort“ zu machen. Das klingt, als ob er sie beschuldigt, die Gläubigen auszubeuten oder den heiligen Ort zu entweihen. Schauen wir etwas genauer hin:
Der Tempel in Jerusalem war nicht nur ein religiöses Zentrum, sondern auch ein wirtschaftliches und gesellschaftliches. Jedes Jahr kamen tausende Pilger, die Tiere kaufen oder Geld wechseln mussten, um die religiösen Rituale korrekt durchzuführen.
Die Händler und Wechsler konnten aber davon ausgehen, dass sie im „Vorhof der Heiden“, dem äußeren Bereich des Tempels, wo Nichtjuden Zutritt hatten, ihren Beitrag zum Tempeldienst leisten durften. Es gab also keine „Entweihung“ des eigentlichen Tempels.
Für einen gläubigen Juden wie Jesus muss klar gewesen sein, dass die Händler und Wechsler nicht willkürlich dort stehen, sondern eine Funktion für die Tempelrituale erfüllten.
Die schroffe Aktion Jesu wirkt daher ungewöhnlich. Einige Theologen deuten sie als symbolische Kritik an der Priesterschaft, die aus Jesu Sicht den Glauben kommerzialisiert hatte. Andere sehen darin einen Akt der Empörung gegen Ungerechtigkeit oder Ausbeutung.
Die Synoptiker (Matthäus, Markus, Lukas) platzieren die Tempelreinigung am Ende von Jesu Wirken, um sie mit seinem Konflikt mit den jüdischen Autoritäten zu verknüpfen. Diese Aktion könnte den Auslöser für seine Verhaftung und Kreuzigung gegeben haben.
Johannes sieht jedoch darin eine symbolische Handlung, die Jesus bereits zu Beginn seines Wirkens als Autorität und Prophet darstellt. Das deutete darauf hin, dass die Autoren der Evangelien nicht an einer historischen Chronologie interessiert waren, sondern an einer theologischen Aussage.
Einige Historiker bezweifeln, dass die Tempelreinigung in dieser Form stattgefunden hat. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Einzelner den Betrieb im Tempel so radikal stören konnte, ohne dass die römischen Besatzer oder die Tempelwachen sofort eingegriffen hätten.
Die Geschichte könnte eine symbolische Erzählung sein, die Jesus als mutiger Kritiker der religiösen und gesellschaftlichen Missstände zeigt.
Die Tempelreinigung ist eine Geschichte, die Jesus als jemanden darstellt, der bereit ist, sich für Gerechtigkeit und den „wahren Glauben“ einzusetzen. Doch sie wirft viele Fragen auf: Wenn Jesus selbst Jude war und die Notwendigkeit der Tempelpraktiken kannte, warum reagiert er so heftig? Hat er die Händler wirklich als „Räuber“ gesehen, oder war die Erzählung eine nachträgliche Dramatisierung durch die Autoren der Evangelien?
Junge Menschen sollten sich kritisch mit solchen Texten auseinandersetzen! Insofern ist die Tempelreinigung ein gutes Beispiel dafür, wie religiöse Texte nicht nur Glaubensaussagen, sondern auch Botschaften und Machtfragen transportieren. Sie zeigt, dass man diese Texte nicht wörtlich nehmen muss, sondern sie als Teil ihrer Zeit und Kultur verstehen sollte.