Fast alle christlichen Kirchen bekennen sich zur „Wiederkunft Christi“. Gemeint ist: Jesus, der gestorben, angeblich auferstanden und dann „in den Himmel aufgefahren“ sei, werde eines Tages wiederkommen – diesmal in Macht und Herrlichkeit. Dann, so heißt es, wird er richten, die Toten auferwecken und ein ewiges Gottesreich errichten. In vielen Gottesdiensten wird das immer noch wie ein Mantra wiederholt:
„…von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“
Obwohl die Wiederkunft eigentlich ein zentrales Element des Glaubens ist, wird heute kaum noch darüber gesprochen – weder in der Schule noch auf Kanzeln. Warum? Vielleicht, weil die Vorstellung im modernen Denken fremd, fast märchenhaft wirkt. Vielleicht auch, weil sich viele Christen bei genauerem Nachfragen selbst nicht sicher sind, worauf diese Hoffnung eigentlich beruht. Oder weil sie wissen:
Das ist ein Versprechen, das bisher unerfüllt blieb – und das schon
seit 2000 Jahren.
Die Bibeltexte geben keine einheitliche Antwort. Und das ist ein Problem.
Ja – und zwar eine mit erstaunlicher Detailverliebtheit. In den Katechismen (also den Lehrbüchern der Kirchen) werden konkrete Abläufe beschrieben: Jesus erscheint in Herrlichkeit, das Jüngste Gericht findet statt, ein ewiges Reich beginnt. Das klingt fast wie ein Drehbuch für einen apokalyptischen Film.
Solche Vorstellungen hatten Hochkonjunktur in den ersten Jahrhunderten – vor allem in Zeiten politischer Krisen. Später wandelte sich das: Die Wiederkunft wurde ins „Irgendwann“ verschoben, aus der Naherwartung wurde eine symbolisch verstandene Hoffnung auf Gerechtigkeit und Erlösung „am Ende der Zeiten“.
Kaum eine Kirche hat so stark an einer konkreten Wiederkunftserwartung festgehalten wie die Neuapostolische Kirche (NAK). Über Jahrzehnte war der Glaube an die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Jesu das Zentrum ihrer Lehre. Und das ging so weit, dass der damalige „Stammapostel“ Johann Gottfried Bischoff 1951 sogar erklärte, der Herr käme zu seinen Lebzeiten:
Das war keine Meinung, sondern wurde als göttlich inspirierte Botschaft verkündet. In vielen Gemeinden wurde sie als Dogma behandelt – wer daran zweifelte, stellte sich gegen das „Werk Gottes“.
Ich selbst erinnere mich gut an meine Schulzeit: In der Volksschule wussten wir Neuapostolischen Kinder, dass wir gar nicht alt werden würden – weil Jesus ja bald wiederkommt. Man ließ sich nicht mal die Weisheitszähne ziehen, denn „so lange dauert’s nicht mehr“.
Doch: Bischoff starb 1960 – und Jesus kam nicht.
Nach Bischoffs Tod war die NAK in einer schweren Krise. Viele Mitglieder verließen die Kirche. Doch statt sich offen zur Irrlehre zu bekennen, versuchte die Kirchenleitung das Thema lange Zeit zu vertuschen oder umzudeuten. Die „Botschaft“ wurde nicht offiziell widerrufen – sie wurde einfach stillschweigend beerdigt.
Erst viele Jahrzehnte später begann eine zaghaft-kritische Aufarbeitung. Der damalige Verwaltungsleiter des NAKI e.V., Erich Senn, gab sogar eine Studie mit Zeitzeugenbefragungen beim Universitätsinstitut für Geschichte und Biographie in Auftrag, damit die Erinnerungen der letzten Zeugen aus der „Botschaftszeit“ zu diesem Thema befragt werden konnten. Von dieser Zeitzeugenstudie, die von Dr. phil. Almut Leh betreut wurde, erwarteten sich viele Gruppierungen rund um die NAK erhellende Informationen. – Sie wurden enttäuscht…
Nicht von Dr. Lehs 2014 vorgelegter Arbeit, sondern von der NAK-Führung, die diese Arbeit nach Kenntnisnahme des Inhalts unter Verschluss nahm und Dr. Leh
entgegen der ursprünglichen Vereinbarung untersagte, „diese Arbeit ganz oder in Teilen zu veröffentlichen oder öffentlich zu diskutieren.“
Der damalige Sprecher des Neuapostolische Kirche International e.V., der sog. Bischof Peter Johanning begründete diesen Schritt damit, dass die Ergebnisse der Studie
geeignet seien, die Geschehnisse differenziert (d.h. nicht im Sinne der NAK) zu betrachten.
Heute findet man auf offiziellen Webseiten der NAK Aussagen wie: „Die Erwartung der Wiederkunft Christi ist weiterhin Bestandteil des Glaubens“ – aber der Ton hat sich verändert. Keine Daten mehr, keine Dogmen, keine persönlichen Ankündigungen. Dafür schwammige Formulierungen wie: „Die Wiederkunft Christi ist nahe – wann sie eintritt, weiß allein Gott.“
Die Lehre von der Wiederkunft Christi ist ein gutes Beispiel dafür, wie religiöse Hoffnungen entstehen, sich verändern – und manchmal scheitern. Ursprünglich war sie Ausdruck der Hoffnung auf Gerechtigkeit, auf eine bessere Zukunft. Heute wirkt sie auf viele eher wie ein frommer Nachklang aus einer Zeit, in der die Welt noch überschaubar war.
Doch statt diese Enttäuschung offen zu reflektieren, wird das Thema oft verschwiegen – oder in symbolische Bilder verwandelt, die kaum noch jemand versteht.
Die Idee, dass Jesus bald zurückkommt, war einmal zentral. Heute ist sie entweder abgeschwächt, spirituell umgedeutet – oder wird aus Verlegenheit lieber gar nicht mehr angesprochen. Dabei ist sie ein spannender Beleg dafür, wie religiöse Erwartung und Wirklichkeit auseinanderdriften können. Und sie zeigt, wie wichtig es ist, kritisch zu fragen:
Was glauben wir – und warum?