Paulus spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Verbreitung des Sünd-Opfer-Tod-Mythos von Jesus. Viele christliche Theologen und Historiker betrachten ihn als eine der prägendsten Figuren
in der Entwicklung der frühen christlichen Theologie. Hier sind einige Aspekte seiner Beiträge:
In seinen Briefen – insbesondere im Römer- und 1. Korintherbrief – beschreibt Paulus den Tod Jesu als ein Opfer für die Sünden der Menschheit. Er interpretierte Jesu Kreuzestod in der Kategorie
des jüdischen Opferkults:
- Röm 3,25: „Ihn hat Gott hingestellt als Sühnopfer durch den Glauben an sein Blut.“
- 1 Kor 15,3: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß den Schriften.“
Paulus stellt den Kreuzestod Jesu als eine göttliche Lösung dar, um die durch die Sünde verursachte Trennung zwischen Gott und Mensch zu überwinden.
Paulus nutzt eine Adam-Christus-Gegenüberstellung, um die universelle Reichweite des Erlösungswerks Jesu zu erklären. Während Adam durch sein Ungehorsam die Sünde und den Tod in die Welt brachte,
bringt Christus durch sein Gehorsam Erlösung und Leben:
- Röm 5,18-19: „Wie durch die Übertretung eines einzigen Menschen alle Menschen in die Verdammnis geraten sind, so wird auch durch die Gerechtigkeit des einen allen Menschen
Gerechtigkeit zum Leben zuteil.“
Damit universalisierte Paulus die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu und machte ihn nicht nur für Juden, sondern auch für Nichtjuden (Heiden) relevant.
Paulus veränderte das traditionelle jüdische Verständnis des Messias. Während der jüdische Messias als ein politischer und nationaler Befreier erwartet wurde, interpretierte Paulus Jesus als einen
kosmischen Erlöser. Diese Deutung machte es möglich, Jesus in der heidnischen Welt zu verkünden, in der Vorstellungen von Opfer, Erlösung und göttlicher Vermittlung weit verbreitet waren.
Für Paulus war der Kreuzestod Jesu kein Unfall oder Scheitern, sondern von Gott vorherbestimmt:
- 1 Kor 2,7-8: „Wir reden von der Weisheit Gottes […] die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat.“ Denn hätten sie sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit
nicht gekreuzigt.“
Mit dieser Aussage deutete Paulus das Kreuz als einen verborgenen Heilsplan Gottes an, der erst durch die Auferstehung offenbar wurde.
Auch heidnische Motive und Vorstellungen haben Eingang in die Theologie von Paulus und die frühe christliche Deutung des Todes Jesu gefunden. Paulus agierte in einer Welt, die stark von
hellenistischer Philosophie, römischen Traditionen und einer Vielzahl von religiösen Strömungen geprägt war. Diese kulturellen und religiösen Einflüsse haben seine Theologie und die Ausbreitung des
frühen Christentums geprägt. Hier einige Beispiele für heidnische Motive, die Einfluss genommen haben könnten:
- Der sterbende und auferstehende Gott
In der antiken Welt waren Mythen von sterbenden und auferstehenden Gottheiten wie Osiris (Ägypten), Adonis (Griechenland/Syrien), Attis (Kleinasien) oder Dionysos verbreitet. Diese Gottheiten
verkörperten häufig Zyklen von Tod und Wiedergeburt, die mit der Natur, der Fruchtbarkeit oder der Erneuerung des Lebens assoziiert wurden.
- Paulus‘ Vorstellung von Jesu Tod und Auferstehung als Schlüssel zur Erlösung spiegelte ähnliche Themen breiter wider. Vor allem in 1 Kor 15 verwendet er das Bild von Samen, das stirbt und neues
Leben hervorbringt, was an Fruchtbarkeitsmotive in heidnischen Kulten erinnert.
- Soteriologie und persönliche Erlösung
In der griechisch-römischen Welt waren Mysterienkulte wie die der Eleusinischen Mysterien oder der Mithras-Religion verbreitet. Diese Religionen versprachen den Gläubigen persönliche Erlösung und ein
Leben nach dem Tod, häufig durch rituelle Initiation oder symbolische Akte.
- Paulus knüpfte an diese Vorstellungen an, indem er die Taufe und das Abendmahl als zentrale Rituale einführte, die symbolisch mit Tod, Auferstehung und Gemeinschaft mit Christus verbunden sind
(z. B. Röm 6,3-5 ).
- Göttliche Sohnschaft und Apotheose
Im römischen Reich waren die Vorstellungen von göttlichen oder halbgöttlichen Herrschern verbreitet. Kaiser wie Augustus wurden posthum als Götter verehrt, und es gab Mythen über Helden, die durch
besondere Taten vergöttlicht wurden (Apotheose).
- Paulus spricht von Jesus als „Sohn Gottes“ (z. B. Röm 1,3-4 ) und beschreibt ihn nach seiner Auferstehung als erhöht und mit göttlicher Macht ausgestattet. Die Vergöttlichung Jesu könnte hier
durch die kulturelle Verankerung des Apotheose-Gedankens beeinflusst worden sein.
- Eucharistie und Opfer
Die Vorstellung, dass das Essen und Trinken von Opfergaben Gemeinschaft mit einer Gottheit schafft, war in heidnischen Religionen weit verbreitet. Bei den Dionysos-Kulten oder den Mithras-Mysterien
spielen symbolische Mahlzeiten eine Rolle.
- Paulus verbindet die Eucharistie (Abendmahl) mit dem Tod Jesu und spricht davon, dass die Gläubigen „am Leib und Blut Christi teilhaben“ (z. B. 1 Kor 10,16-17 ). Dies spiegelt möglicherweise
heidnische Vorstellungen von spiritueller Gemeinschaft durch rituelle Handlungen wider.
- Kosmische Mächte und Erlösung
In der hellenistischen Philosophie und Gnosis existierte die Vorstellung von kosmischen Mächten, die die menschliche Seele gefangen hielten. Erlösung bestand darin, diese Mächte zu überwinden und zur
göttlichen Welt zurückzukehren.
- Paulus spricht häufig von „Mächten“ und „Gewalten“ (z. B. Kol 2,15 ), die durch den Tod und die Auferstehung Jesu besiegt worden seien. Diese Vorstellung könnte durch gnostische oder platonische
Ideen inspiriert sein, die von einer Befreiung des Menschen aus der materiellen Welt handeln.
- Universalität der Erlösung
Die heidnischen Mysterienkulte waren inklusiv und richteten sich an Menschen unterschiedlichster Herkunft. Im Gegensatz zur exklusiven jüdischen Tradition, dem stark national und ethnisch geprägten
Krieg, boten die heidnischen Kulte eine universelle Religiosität an.
- Paulus überträgt dieses universelle Prinzip auf das Christentum, indem er erklärt, dass die Erlösung durch Jesus allen Menschen offensteht, unabhängig von Herkunft oder Status (z. B. Gal 3,28 :
„Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie “).
Durch Paulus' missionarisches Wirken wurde die Theologie des Kreuzestodes als Sühneopfer in die heidnische Welt getragen. Seine Briefe beeinflussten nachhaltig die christliche Dogmenbildung und
legen die Grundlage für spätere Konzepte wie die Erbsündenlehre (entwickelt von Augustinus).
Ohne Paulus wäre die heutige christliche Vorstellung von Jesus als Erlöserfigur möglicherweise anders ausgestaltet oder nicht in derselben Form überliefert worden. Er hat maßgeblich dazu
beigetragen, dass der Tod Jesu als Sündenopfer verstanden wurde. Seine Theologie zeigt dabei deutliche Parallelen zu heidnischen religiösen Vorstellungen, insbesondere in Bezug auf die Erlösung, das
Opfer, die Auferstehung und die rituelle Gemeinschaft mit einer Gottheit.
Indem er jüdische Opfertraditionen mit heidnischen Erlösungsvorstellungen und besonders mit den religiösen Konzepten der hellenistischen Welt verband, schuf er eine universelle Theologie,
die sowohl Juden als auch Nichtjuden ansprach. Dies trug wesentlich dazu bei, das Christentum für ein breites Publikum attraktiv zu machen und seine schnelle Verbreitung zu ermöglichen.