Eine Glosse zum StAp-Gottesdienst am 23.03.25 in Santiago de Chile
Stellen wir uns folgende Szene vor: Ein Mensch gesteht leise, beinahe verschämt, dass er neuapostolisch ist. Warum verschämt? Nun, vielleicht wegen all der Dogmen, der selbsternannten Apostel, der spirituellen Daueransprache im „Wir-sind-besonders“-Modus. Doch Hilfe naht – ausgerechnet aus Santiago de Chile, wo sich der Stammapostel Jean-Luc Schneider persönlich dem Thema „Scham“ widmete:
Seine Botschaft? Schäme dich ruhig – aber schäm dich gläubig! Denn wer auf Gott vertraut, wird am Ende doch nicht enttäuscht. Klingt fast wie ein Versicherungsvertrag mit Ausschlussklauseln: Vertrauensgarantie – aber nur bei vollständiger Unterwerfung.
Mit dem Psalm 25,20 („Lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue auf dich“) als biblischem Rückgrat schwingt sich Schneider in seiner Predigt zu einem rhetorischen Kunstflug auf:
Wer sich schämt, sei es wegen Sünde, Spott oder unerfüllter Erwartungen, dem helfe Gott – sofern das Vertrauen vollständig ist. Nicht kritisch, nicht zweifelnd, sondern treu, demütig und motivationsrein.
Aha. Also nicht die Institution, die peinlich wirkt – nein, das Problem liegt beim Schämer. Wer’s richtig macht, schämt sich erleuchtet!
Besonders aufhorchen lässt ein Satz, der die Logik des Systems wie durch ein Brennglas zeigt:
„Wenn Gott redet, dann zu mir – nicht zur Welt, sondern zu mir.“
Man nennt das in der Religionspsychologie religiösen Solipsismus: Die Welt schweigt, aber die Predigt spricht – und sie spricht nicht zufällig, sondern immer genau „zu mir“. Eine clevere Methode, um Predigtinhalte direkt ins Gewissen einzuschweißen. Kritik wird überflüssig, denn Gott hat ja gesprochen. Und wer widerspricht, widerspricht dem Herrn selbst.
Man ist nicht würdig, heißt es, aber man bekommt Gnade – sofern man den Demutskurs mitmacht. Eine spirituelle Rabattaktion auf himmlische Erlösung, nur gültig bei vollständigem Verzicht auf Selbstachtung.
Der Stammapostel nennt es „ernsthafte Nachfolge“. Ich nenne es: fromm verpackte Selbstaufgabe. Denn „Wer mir folgen will, muss sich selbst verleugnen“, wird da zitiert – ein Satz, der vielen als Kollektiv-Knebel dient. Praktisch, wenn’s um Kontrolle geht.
Und so entsteht eine Botschaft, die sich in einem Satz zusammenfassen lässt:
Wer sich schämt, ist nicht fromm genug – schäme dich also besser mit Vertrauen!
Es ist ein brillanter Trick:
Menschen, die sich unwohl fühlen in einem autoritären System, werden nicht befreit, sondern in ihr Unwohlsein eingebettet – religiös abgefedert durch „Gottvertrauen“.
Ob das hilft? Vielleicht. Es hilft zumindest der Institution. Denn wer sich schämt und trotzdem bleibt, ist der perfekte Gläubige: zerknirscht, dankbar – und still.