Wir bringen Licht ins Dunkel
Wir bringen Licht ins Dunkel 

Wenn schon Sozialreform – warum dann keine radikale?

Ein Modellvorschlag für ein „BGE 800 + Z“  und seine finanzielle Machbarkeit

Deutschland steht vor einem altbekannten Paradox: Der Sozialstaat ist umfangreich, teuer und komplex – und trotzdem erleben viele Menschen ihn als schwer zugänglich, unübersichtlich oder ungerecht. Die Ausgaben liegen heute bei rund 30 % der gesamten Wirtschaftsleistung (Sozialbudget 2023: ca. 1.249 Mrd. €). Die Verwaltung hierfür ist gigantisch, kommunale Sozial- und Verwaltungsaufwendungen erreichen neue Rekordwerte. Gleichzeitig häufen sich strukturelle Herausforderungen: demographischer Wandel, Fachkräftemangel, Armutsrisiken, steigende Wohnkosten, zunehmende Fragmentierung der Zuständigkeiten.

 

Vor diesem Hintergrund wird seit Jahren die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert – meist verworfen mit dem Hinweis, es sei „nicht finanzierbar“ oder „gesellschaftlich nicht tragfähig“. Ein differenzierter Blick zeigt allerdings: Ein moderates Modell, das den Sozialstaat nicht ersetzt, sondern umstrukturiert, könnte finanzierbar sein, wenn man Reformbereitschaft annimmt.

 

Die folgende Betrachtung untersucht ein solches Modell – das „BGE 800 + Z“ – als radikale, aber realistisch kalkulierbare Reformoption.

1. Das Modell: Universelles Grundeinkommen + gezielte Zusatzleistungen

1.1 Kernidee: 800 € pro Monat für jede Person

Jeder in Deutschland lebende Bürger würde monatlich 800 € erhalten.
Bruttokosten:

 

800 € × 12 Monate × 84,7 Mio. Einwohner ≈ 813 Mrd. € pro Jahr

Dieses BGE ersetzt nicht alle bestehenden Leistungen, sondern bildet eine Basisabsicherung, auf die alles Weitere aufbaut.

 

1.2 Warum 800 €?

  • Es deckt das Existenzminimum ab.
  • Für eine vierköpfige Familie ergeben sich 3.200 € garantiertes Nettoeinkommen – unabhängig von Beschäftigung.
  • Es ist finanziell realistischer als hohe BGE-Modelle (1.200–1.500 €) und vermeidet extreme Steuerlasten.

2. Was bleibt zusätzlich notwendig?            Die Struktur „+ Z“

Ein einfaches BGE kann unterschiedliche Lebenslagen nicht vollständig ausgleichen. Daher wird das Modell ergänzt durch vier systematisch definierte Zuschlagstypen („Z“):

 

2.1 Pauschale Zuschläge

 

Diese kommen ohne Bedürftigkeitsprüfung aus und greifen bei klar erkennbaren Mehrbedarfen:

  • Kinderzuschläge (z. B. 100–150 €): Anerkennung realer Mehrkosten.
  • Behinderungs- bzw. Pflegezuschläge in gestuften Pauschalen (z. B. +200 / +400 / +700 € pro Monat je nach Bedarfslage).
  • Alleinerziehendenzuschlag (z. B. +200 € monatlich).

 

2.2 Sach- und Versicherungsleistungen

 

Die wichtigsten risikoabhängigen Leistungen bleiben systematisch erhalten:

  • Gesundheitsversorgung auf gesetzlichem Kassenniveau (steuerfinanziert).
  • Pflegesystem mit Pflegegraden, Sachleistungen, ambulanten Diensten.
  • Unfall- und Invaliditätsversicherung.
  • Bildungsleistungen (gebührenfreie Kita, Schule, bezahlbare Hochschule).

 

Ein rein pauschales BGE kann diese heterogenen Kostenstrukturen nicht abbilden – daher werden sie getrennt gehalten.

 

2.3 Regionale / kommunale Zuschläge

 

Wohnkosten variieren bundesweit extrem. Daher:

  • Bundesweites BGE,
  • plus optionale kommunale Wohnzuschläge, abhängig von Mietstufen.

 

Damit wird vermieden, dass Bürger aus finanziellen Gründen ausschließlich in „billige“ Regionen gedrängt werden.

 

2.4 Notfallhilfen

 

Ein kleines, sehr schlankes System für Situationen, die weder BGE noch Zuschläge abdecken:

  • Wohnungsbrand
  • plötzliche Erwerbsunfähigkeit vor Anerkennung
  • Naturkatastrophe
  • Fluchtsituationen
  • Übergangsphasen

Dieser Fonds wäre der „letzte Schutzwall“, ohne die heutige Dauerbürokratie.

3. Wie viel Bürokratie bleibt...                      ... und warum deutlich weniger?

Das Modell lässt sich so konstruieren, dass viele Antrags- und Kontrollstrukturen entfallen:

  • BGE selbst läuft automatisch über das Melderegister.
  • Kinder-, Behinderungs- und Wohnzuschläge können größtenteils automatisiert gewährt werden.
  • Es gibt deutlich weniger Kategorien als im heutigen Sozialrecht.
  • Doppelprüfungen und komplexe Anrechnungsregeln entfallen komplett.
  • Sachleistungen bleiben – aber ohne die heutige Einkommens- und Bedürfnisprüfung.

 

Der Staat konzentriert sich auf Aufgaben, die tatsächlich individuelle Bewertung erfordern (z. B. Pflegegrad) – nicht auf die Prüfung des Alltagslebens von Millionen Bürgern.

4. Wie lässt sich das finanzieren?                (Die konkrete Grobkalkulation)

4.1 Schritt 1: Umleitung bestehender Sozialausgaben

 

Das Sozialbudget umfasst 1.249 Mrd. €. Realistisch umschichtbar sind:

  • 40 % des Sozialbudgets = ca. 500 Mrd. €,
    die durch das BGE ersetzt werden können (Arbeitslosigkeit, Bürgergeld, Wohnen, Grundsicherungsteile, Verwaltung).

 

Damit reduziert sich die Finanzierungslü >Einkommensteuer

  • Heutige effektive Besteuerung aller Einkommen: ca. 18 %.
  • Durch Wegfall von Freibeträgen (ersetzt durch BGE), weniger Ausnahmen und moderate Tarifsteigerung:
    → effektive Belastung 25–27 % möglich.
  • Mehrertrag: +140 bis +180 Mrd. €.
  • Mehrwertsteuer
    • Erhöhung Standardsteuersatz 19 % → 20 %
    • Mehrertrag: +15–20 Mrd. €.
  • Umwelt- und Energiesteuern
    • Anhebung auf 2,5 % des BIP (international moderater Wert):
      +20–25 Mrd. €.
  • Abbau von Steuervergünstigungen
    • Umfang heute: ca. 0,9 % des BIP (~40 Mrd. €).
    • Fossile Subventionen zusätzlich: ~30–40 Mrd. €.
    • Realistisch nutzbar: +40–60 Mrd. €.
  • Kapital- und Unternehmensbesteuerung
    • Vollintegration von Kapitalerträgen in die Steuerprogression, Abbau einzelner Privilegien:
      +10–15 Mrd. €.

 

4.3 Ergebnis: Schließt das die Finanzierungslücke?

Konservativ gerechnet:

  • ESt + 150 Mrd. €
  • MwSt + 15 Mrd. €
  • Umwelt + 20 Mrd. €
  • Vergünstigungen weg + 40 Mrd. €
  • Kapital/Unternehmen + 10 Mrd. €

= ca. 235 Mrd. € zusätzlich.

 

Mit mittleren Parametern:

  • ESt + 180 Mrd. €
  • MwSt + 18 Mrd. €
  • Umwelt + 25 Mrd. €
  • Vergünstigungen + 50 Mrd. €
  • Kapital + 15 Mrd. €

= ca. 288 Mrd. €.

 

Die Finanzierungslücke (314 Mrd. €) wird damit fast oder vollständig geschlossen.
Mit leicht ambitionierteren Stellschrauben (oder 50 % Umschichtung) wäre sie vollständig geschlossen.

5. Was bedeutet „radikal“                             in diesem Zusammenhang?

„Radikal“ ist hier nicht im Sinne von „rücksichtslos“, sondern im ursprünglichen Sinn:

radix = Wurzel
→ Die Reform greift die Wurzel der Strukturprobleme an.

 

Radikal heißt:

  • Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung als Maxim für die Grundsicherung.
  • Vereinheitlichung statt 30+ Sozialleistungen mit jeweils eigener Logik.
  • Stärkung der Bürgerautonomie statt paternalistischer Detailkontrollen.
  • Breite Steuerbasis, weniger Ausnahmen, dafür universelle Leistungen.
  • Klare Trennung zwischen Grundabsicherung (BGE) und risikobezogenen Systemen (Pflege, Gesundheit, Behinderung).
  • Massive Reduktion bürokratischer Doppelstrukturen.

 

Radikal bedeutet hier also einfach – statt kompliziert.

6. Warum gerade jetzt darüber reden?

Weil alle relevanten Trends in dieselbe Richtung zeigen:

  • Die Bevölkerung altert, Pflegebedarfe steigen.
  • Arbeitswelt und Erwerbsbiographien werden brüchiger.
  • Viele Transferinstrumente stammen aus einer Welt, in der Erwerbsarbeit linear war.
  • Verwaltungskosten explodieren.
  • Armut trotz Erwerbsarbeit steigt.
  • Der Sozialstaat leidet unter wachsender Intransparenz.

 

Ein BGE 800 + Z würde das System nicht vergrößern, sondern neu ordnen:

  • weniger Komplexität,
  • weniger Stigmatisierung,
  • mehr Planbarkeit für Haushalte,
  • mehr Effizienz im Staat,
  • eine tragfähige Basis für langfristige Sozialpolitik.

7. Der entscheidende Punkt:           Bewertung durch die Bürger selbst 

Diese Ausarbeitung verzichtet bewusst darauf zu behaupten:

  • „Das wäre besser“ oder
  • „Das wäre schlechter“.

Denn die Frage, ob ein BGE+Z-Modell im Vergleich zum heutigen Sozialstaat für einzelne Haushalte vorteilhaft oder nachteilig wäre, hängt von Lebenssituation, Wohnort, Gesundheitszustand und Familienstruktur ab.

 

Statt Antworten vorzuschreiben, ermöglicht diese Darstellung:

  • das Modell zu verstehen,
  • die Größenordnungen zu kennen,
  • die Mechanismen zu beurteilen,
  • eigene Fragen zu entwickeln.

 

Die Leser*innen können ja gezielt nachrechnen, wie dieses Modell für sie oder andere Menschen wirken würde, und Ihre Bedenken (oder auch ihre Zustimmung ) dann im Kommentarstrang zur Diskussion stellen.

Schlussgedanke

Eine Reform des Sozialstaates muss nicht in kleinen Korrekturen verharren.


Wenn man ohnehin über grundlegende Veränderungen spricht – Digitalisierung, Bürgernähe, Entlastung der Verwaltung, Bekämpfung verdeckter Armut –, dann sollte man die Möglichkeit einer radikalen Vereinfachung nicht von vornherein verwerfen.

 

Das Modell „BGE 800 + Z“ zeigt:

  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht automatisch utopisch.
  • Eine systematische Integration bestehender Leistungen senkt Komplexität und erhöht Transparenz.
  • Eine seriöse Steuerreform kann ein solches System finanzieren.
  • Und die Entscheidung über Vor- und Nachteile liegt am Ende bei den Bürgerinnen und Bürgern, nicht beim Rechenschieber.

Kommentare

Es sind noch keine Einträge vorhanden.
Bitte geben Sie den Code ein
* Pflichtfelder

Diese Website hat einen enorm großen Umfang. Um bei der Suche nach bestimmten Inhalten schneller fündig zu werden, könnte eine seitenspezifische Google-Schlagwortsuche hilfreich sein:

letzte Updates:

14. Dezember 2025

„Chanukka Sameach!“

Heute Abend (bei Sonnenuntergang) beginnt das jüdische Lichterfest Chanukka.  Es währt 8 Tage und erinnert an die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels im Jahr 164 v. Chr., nachdem die Makkabäer sich gegen die religiöse Unterdrückung durch die Seleukiden behauptet hatten. Der Name bedeutet „Einweihung“.
Mehr Informationen zu den Hintergründen und zum Brauchtum zu diesem jüdischen Fest findet Ihr hier:

12.12.2025

08.12.2025

google-site-verification: google629555f2699bf7ee.html

Auf "Null gesetzt"
am 01.01.2025

Druckversion | Sitemap
© Franz-Christian Schlangen