Theologie arbeitet nicht hypothesenprüfend, sondern dogmatisch. Sie setzt voraus, was erst bewiesen werden müsste, und imitiert Wissenschaftlichkeit über Formalkriterien. Ihre universitäre Sonderstellung ist historisch und politisch gewachsen, nicht epistemisch verdient. Was bleiben soll, gehört in Religionswissenschaft, Geschichte, Philologie, Soziologie und Psychologie – nicht in eine bekenntnisgebundene Fakultät.
Ich hatte das Thema vor einigen Tagen in einem kurzen Beitrag auf Facebook (klick) angesprochen. Dabei habe ich zugesagt, bald einen ausführlicheren Aufsatz zu diesem Thema vorzulegen. Dieses Versprechen löse ich heute ein. – Doch zuvor noch einmal der kurze Text den ich bei Facebook veröffentlicht habe:
Theologie beansprucht, Wissenschaft zu sein – untersucht aber nicht die Welt, sondern bewacht vorausgesetzte Glaubenssätze. Sie ist die Kunst, innerhalb eines Dogmengebäudes kohärent zu reden. Das kann brillant, gelehrt und nützlich für die Selbstorganisation von Kirchen sein – aber es ist keine Wissenschaft im eigentlichen Sinn. Wissenschaft stellt Behauptungen über Wirklichkeit auf, die prinzipiell falsifizierbar sind. Theologie stellt Behauptungen über Glaubenswahrheiten auf, die dem Zugriff intersubjektiver Prüfung entzogen sind.
Das Ergebnis ist ein Etikettenschwindel: Formale Wissenschaftlichkeit (Fußnoten, Methodenkapitel, Zitationsapparate) ersetzt inhaltliche Prüfbarkeit. Die Hülle glänzt akademisch, der Kern bleibt bekenntnishaft.
Im europäischen Mittelalter war Theologie „Mutter/Königin der Wissenschaften“. Universitäten entstanden unter kirchlicher Ägide; die Fakultäten für Theologie waren Gründungsabteilungen. Diese institutionelle Startposition hat die Moderne überlebt – trotz Aufklärung, Empirie und Methodenkritik. In vielen Staaten – auch in Deutschland – werden kirchliche Interessen bis heute durch historische Verträge und öffentlich-rechtliche Körperschaftsrechte politisch abgesichert.
Wichtig ist: Die Präsenz an der Universität wurde nie epistemisch neu legitimiert. Sie wurde verwaltet, bestätigt, modernisiert – nicht begründet. Kirchen benötigen akademisch zertifizierte Kader (Pfarrer*innen, Lehrer*innen, Ethikkommissions-Mitglieder). Die Theologie liefert sie, die Universität verleiht das Gütesiegel.
Wissenschaftliche Programme gehen von kritikfähigen Hypothesen aus. Sie fordern Messbarkeit, Vorhersagbarkeit, zumindest intersubjektiv nachvollziehbare Evidenz. Theologie beginnt mit Axiomen: Gott ist, Christus ist Offenbarung, Schrift ist maßgeblich. Diese Axiome sind methodisch geschützt, nicht geprüft. Ihre „Prüfung“ ist interne Kohärenz, nicht externe Evidenz.
Religionswissenschaft, Geschichtswissenschaft oder Philologie können religiöse Texte, Rituale und Institutionen ohne Bekenntniszwang untersuchen. Sie fragen: Wie entstehen solche Überzeugungen? Welche sozialen Funktionen haben sie? Welche Textschichten lassen sich historisch rekonstruieren? – Das sind echte Forschungsfragen. Theologie fragt: Wie ist das dogmatisch „richtig“ zu verstehen? – Das ist kircheninterne Normbildung, keine Erkenntnis über die Welt.
Merksatz:
Theologie ist eine Hermeneutik des Glaubens,
keine Empirie der Wirklichkeit.
Ja, es gibt innerhalb theologischer Fakultäten eine beeindruckende philologische, historische und sozialwissenschaftliche Kompetenz. Doch wann immer diese Kompetenz konsequent angewandt wird, verlässt sie das bekenntnisgebundene Feld und arbeitet de facto als Religionswissenschaft, Alte Geschichte, Judaistik, Semitistik, Literaturwissenschaft oder Soziologie.
Die „Kritik“ der Theologie bleibt am Ende bekenntnisverträglich: Der Rahmen – Gott, Offenbarung, Heilige Schrift als normative Referenz – ist tabu. Wer den Rahmen sprengt, arbeitet meist nicht mehr als Theolog*in, sondern als Historiker*in, Philolog*in, Religionssoziolog*in etc. Das eigentliche Erkenntnisinteresse – ob die Grundannahmen stimmen – bleibt ausgeschlossen.
Gerade in den digitalen Öffentlichkeiten (YouTube, Podcasts) beobachten wir die Renaissance einer akademisch kostümierten Apologetik. Professoren treten auf, sprechen die Sprache der Wissenschaft, nutzen PowerPoint, zitieren aus Fachaufsätzen – und präsentieren doch dogmatische Gewissheiten als vermeintliche Forschungsergebnisse. Die Taktik ist durchsichtig:
So entsteht eine kognitive Schmugglerware: bekenntnisgebundene Thesen im Kostüm methodischer Neutralität.
Natürlich gelten in theologischen Dissertationen Standards: Literaturüberblick, Methodenkapitel, Logik, Zitation. Das ist löblich – aber nicht hinreichend. Denn die Schlüsselfrage lautet: Sind die zentralen Aussagen prinzipiell prüfbar?
Wenn nein, dann ist die wissenschaftliche Form bloß Verpackung.
Ein Beispiel:
Die Frage ist nicht, ob eine Arbeit „schwer“ oder „gelehrt“ ist, sondern ob ihr Wahrheitsanspruch methodisch verwundbar ist. Wo Verwundbarkeit fehlt, endet Wissenschaft.
Niemand bestreitet, dass religiöse Traditionen gesellschaftliche Relevanz haben. Normative Ethik, Medizinethik, Diskurse um Würde, Sterbehilfe, Künstliche Intelligenz – hier sind religiöse Stimmen Teil des Pluralismus. Doch die universitäre Plattform für diese Debatten sind Philosophie, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaften und interdisziplinäre Ethikzentren. Religiöse Perspektiven sind willkommen – als Positionen unter anderen, nicht als bekenntnisprivilegierte Lehrstühle.
Analog gilt für historische und philologische Expertise an theologischen Fakultäten: Diese Kompetenzen gehören in Fächer ohne Bekenntnisfilter. Judaistik, Islamwissenschaft, Kirchengeschichte als Teil der Geschichtswissenschaft, Bibelphilologie als Teil der Altertumswissenschaften – all das bliebe (und blüht) ohne dogmatischen Lehrauftrag.
*= Bias (sprich: Beies / dt.: Voreingenommenheit) ist ein systematischer Fehler, der zur Verzerrung von Studienergebnissen führt, also zu Ergebnissen, die systematisch in eine bestimmte Richtung von den wahren Werten abweichen
In bekenntnisgebundenen Fakultäten existiert ein religiöser „Gatekeeper“-Mechanismus der den Zugang regelt: Berufungsverfahren, Lehrstühle und Curricula sind an kirchliche Lehrvorgaben gekoppelt. Das erzeugt systematisch Konformitätsdruck. Skeptische, religionskritische oder dezidiert naturalistische Forschungsprogramme sind dort unterrepräsentiert, nicht weil sie schlechter wären, sondern weil sie falsch am Platz sind – und zwar institutionell.
Wissenschaft benötigt methodische Freiheit – inklusive Freiheit, fundamentale Prämissen zu verwerfen. Diese Freiheit ist per Definition mit bekenntnisgebundenen Lehrstühlen unvereinbar.
Das ist kein „Kulturkampf“, sondern Epistemologie als Ordnungspolitik: Jede Methode an den Ort, an dem sie ihr Erkenntnispotenzial entfalten kann – und ihre Thesen der Kritik aussetzt.
Universitäten sind der öffentlichen Vernunft verpflichtet. Diese Vernunft verlangt Begründung statt Berufung, Kritik statt Gehorsam, Widerlegbarkeit statt Unantastbarkeit. Theologie als bekenntnisgebundenes Lehrfach steht dazu quer.
Theologie kann und soll existieren – aber nicht als wissenschaftliche Fakultät im staatlichen Hochschulsystem.
Wissenschaft beginnt, wo wir bereit sind, Unheiliges zu denken.
Wer die Unantastbarkeit seiner Grundannahmen verteidigen muss, verwechselt Heiligtum mit Hypothese.