Vor knapp zwei Millionen Jahren durchstreiften im ostafrikanischen Rift Valley Säbelzahnkatzen, Antilopen und Warzenschweine die Savanne. Zwischen ihnen lebte ein Wesen, das aufrecht ging, Werkzeuge herstellte und zunehmend verstand, dass es seine Umwelt verändern konnte: Homo erectus.
Er hat Jahrmillionen gebraucht, um aufrecht zu gehen, Werkzeuge zu schlagen und das Feuer zu beherrschen. Doch die vielleicht folgenreichste Erfindung geschah nicht mit Steinen und Flammen, sondern im Kopf: die Idee, dass hinter Naturerscheinungen ein „Jemand“ steht.
Mit seinem Gehirnvolumen von 600–1.000 cm³ entsprach seine geistige Kapazität der eines heutigen dreijährigen Kindes. Wichtiger, als einfache Werkzeuge herstellen zu können, Feuer zu nutzen und über Generationen Wissen weiterzugeben, war:
Er verfügte bereits über die Fähigkeit zur „Mentalisierung“ – also das Verhalten anderer Wesen in Bezug auf Absichten, Wünsche oder Täuschungen zu deuten. Ein Schlüssel, um in einer gefährlichen Umwelt zu überleben.
Dieser Urmensch beobachtete Naturphänomene, Wetterwechsel, den Sternenhimmel. Und er konnte Wetter, Tiere und Sternenhimmel nicht bloß sehen – er musste sie deuten. Weil er sich selbst als handelndes Wesen erfuhr, übertrug er dieses Prinzip auf die Welt:
Wenn ich handle, dann handeln auch andere. Wenn ich zweckgerichtet etwas bewirke, dann muss auch das Gewitter, die Dürre, der Tod zweckgerichtet sein. Der erste Götze war geboren: nicht aus Stein, sondern aus Projektion. So, wie er selbst Dinge zweckgerichtet veränderte, vermutete er hinter den gewaltigen Kräften der Natur ebenfalls handelnde Wesen – größer, mächtiger, über ihn hinausgehend. Alles, was ihm begegnete, erschien ihm sinnvoll und „für ihn gemacht“.
So entstand der Keim einer Idee, die man Religion nennen kann: ein frühes Erklärungsmodell, individuell und ohne Zwang. Noch gab es keine Priester, keine Dogmen, keine Gemeinschaftsreligion. Nur die spontane Projektion des eigenen Geistes auf die Welt.
Es war eine unschuldige Erfindung. Sie half, das Unerklärliche erträglicher zu machen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, anderen diesen Deutungsversuch aufzuzwingen. Religion war eine individuelle Hypothese. Erst mit Sprache, Weitergabe und Verdichtung zu Mythen wurde daraus eine gemeinsame Fiktion.
Mit Homo heidelbergensis und später Homo sapiens wuchs die geistige Kapazität. Sprache entwickelte sich, und damit die Möglichkeit, Vorstellungen weiterzugeben. Vor 100.000 Jahren begannen Menschen, symbolische Artefakte und Bestattungen mit Beigaben zu hinterlassen. Erste Jenseitsvorstellungen entstandn: eine Antwort auf das schwer erträgliche Wissen um die Endlichkeit des Lebens.
Ab ca. 30.000 Jahren vor heute entstanden Kunstwerke wie die Höhlenmalereien von Lascaux – Zeichen eines ausgeformten religiösen Bewusstseins. Die mythischen Motive ähneln sich weltweit, getragen von denselben archaischen Projektionen, die schon Homo erectus kannte.
Doch erst als die ersten Hochkulturen entstanden, entdeckte man den wahren Nutzen der Religion: Sie schuf nicht nur Sinn, sondern auch Ordnung und Gehorsam. Wer behauptete, die Götter sprächen durch ihn, gewann Macht. Und seltsam verlässlich deckte sich der Wille der Götter mit den Interessen der Herrschenden.
Etwa ab 6.000 v. Chr. entstanden im fruchtbaren Zweistromland die ersten Stadtstaaten und mit ihnen organisierte Religionen. Sumerische Mythen – Schöpfung, Sintflut, Auferstehung – werden später in den Erzählungen der Bibel wiederkehren.
Zur Zeit des Zerfalls der ersten Stadtstaaten, etwa um 1200 v. Chr. formierte sich im Bergland Kanaans ein buntes Völkergemisch aus ehemaligen Stadtbewohnern, entlaufenen Sklaven und Nomaden.
Was diesem Völkergemisch zur „Einheit“ fehlte, waren eine gemeinsame Herkunftsgeschichte und ein Gott, der mitwandert. So wurde der aus dem Süden importierte Wüsten- und Berggott JHWH zum Zentrum eines neuen Kultes. In diese Erzählung wurden ältere Mythen eingebaut:
Als „Ursprungsfigur“ übernahm man die Gestalt Abrahams – eine literarische Kunstfigur, die den alten Mythen einen genealogischen Anker gab. Aus Erzählung wurde Identität, aus Mythos Gesetz. So entstand – literarisch, nicht historisch – „das Volk Israel“. Und es bildete sich eine Priesterkaste heraus.
War der „Gott Abrahams“ auch nie mehr als die nachträgliche Fiktion einer Priesterschaft, wusste die sich aus dieser Priesterschaft formierende Kaste sehr genau, was sie damit gewinnen konnte: Autorität, Deutungshoheit, Macht. Und das zieht sich von da an wie ein roter Faden durch die Geschichte:
Immer wieder stellten sich Menschen hin, um im Namen des Göttlichen zu sprechen, und sie brachten diesen Willen zuverlässig mit ihren eigenen Interessen und denen der Herrschenden zur Deckung. Und immer wieder jubelten Massen jenen zu, die im Brustton der Gewissheit zu wissen behaupteten, was „Gott“ will.
Heute leben wir in einer Welt, in der Wissen sich schneller verdoppelt, als es tradiert werden kann. Wir wissen mehr über Sterne, Gene und Geschichte als alle Generationen zuvor. Doch noch immer lassen sich Millionen Menschen von Vorstellungen leiten, die intellektuell nicht über das Niveau der frühesten Mythen hinausreichen.
Eine Mehrheit der Menschen verharrt in der Denkweise der Steinzeit, und eine kleine Minderheit nutzt dies, um ihre geistige Herrschaft zu sichern. Dass religiöse Funktionäre weiterhin systematisch Unwissen pflegen, um Menschen in geistiger Abhängigkeit zu halten, ist schlicht unerträglich! – Nehmen wir z.B. die sog. „Neuapostolische Kirche (NAK)“:
Man könnte es fast komisch finden, wenn es nicht so tragisch wäre:
Das Oberhaupt der NAK, einer Gemeinschaft, die weltweit immerhin rd. acht Millionen Mitglieder zählt, ist ein Betriebswirt aus dem Elsass, der als Laienprediger zu Reichtum gekommen ist. – Jean-Luc Schneider heißt dieser Mensch und er stellt sich hin und verkündet im 21. Jahrhundert im Brustton der Überzeugung, er wisse, was „Gott“ von den Menschen verlangt… Er wiederholt das uralte Muster: Die Macht über die Köpfe zu sichern, indem er sich zum Sprachrohr eines erfundenen Wesens macht. Tausende lauschen ihm ergriffen!
Die Szene könnte aus einer Karikatur stammen – wäre sie nicht Ausdruck einer zutiefst ernsthaften Misere: der Weigerung, erwachsen zu werden.
Dass Mythen in Kinderköpfen entstehen, ist verständlich. Dass Erwachsene sie für bindende Wahrheit halten, ist fatal. Wir sind die einzigen Lebewesen auf der Erde, die die Fähigkeit besitzen, ihre Welt mit Vernunft zu begreifen! Wenn wir sie stattdessen freiwillig wieder in die Hände imaginärer Wesen legen, dann ist das nicht mehr Unschuld, sondern Borniertheit.
Natürlich… Es gibt nach jeder Veröffentlichung hier Stimmen, die den Wahrheitsgehalt meiner Aufsätze infrage stellen. Dazu kleiner Lesetipp, um Euch selbst von der Wahrheit zu überzeugen:
Und immer wieder wird mir vorgeworfen, mich selbst bereichern zu wollen… Nun, Ihr lest hier kostenlos. Oder? Ihr lest kostenlos,, obwohl eine so umfangreiche Website wie CANITIES-News einiges an Kosten verursacht. Wir – also meine Frau und ich – tragen diese Kosten selbst. Wir betreiben keine Leser-Datensammlung, wir erzielen keine Werbeeinnahmen und wir erhalten keine Kostendeckungsbeiträge von dritter Seite.
Was hätten wir also davon, wenn wir euch belügen würden?