Wenn Funktionäre oder publizistische Sprachrohre der Neuapostolischen Kirche (NAK) die biblische Überlieferung ins Schöne, Sanfte und Edle ausdeuten, sollte man genau hinhören. Häufig finden sich dann jene Formulierungen, die schon durch ihre vage Allgemeinheit verraten, dass man sich auf unsicherem Terrain bewegt: „manche Ausleger sagen…“, „es ist bekannt…“, oder im NAK-Jargon: „wie jener alte Gottesmann sagte“. Hinter solchen Formeln steckt selten historische Exegese, sondern in der Regel tradierter Sonntagsschul-Kitsch.
So auch im jüngsten Beitrag von Andreas Rother auf nac.today („Triumphzug im Feuerwagen“). Was er dort über Elia und Elisa schreibt, ist exemplarisch für eine Lesart, die unliebsame Bibelstellen verschweigt, aus Gewaltgestalten Lichtgestalten macht und aus einer archaischen Mythensammlung eine fromme Zukunftsvision für die NAK zusammenschustert.
Rother beschreibt Elia als „Einzelgänger, mittellos, obdachlos“ – also quasi den heiligen Wanderprediger wie er im Buche steht. In Wahrheit ist der biblische Elia in der Bibel ein blutrünstiger Fanatiker, der die Baalspriester eigenhändig abschlachtet (1 Kön 18,40) und der in 2 Kön 1 ganze Trupps von 50 Soldaten durch göttliches Feuer auslöschen lässt, nur weil sie ihn höflich im Auftrag des Königs holen wollen. Wer so agiert, wäre nach heutigen Maßstäben eher ein religiöser Terrorist als ein „Gottesmann“.
Elisa, sein Nachfolger, gilt der Überlieferung zufolge als „meschugge“ (2 Kön 9,11). Auch er war kein sanfter Hirte, sondern ein eifernder Jahwist. Berüchtigt ist die Szene, in der er eine Schar Kinder verflucht, weil sie ihn „Kahlkopf“ genannt hatten – woraufhin zwei Bären aus dem Wald kommen und 42 Kinder zerreißen (2 Kön 2,23f). Dass Rother solche Episoden nicht einmal erwähnt, ist kein Zufall: Sie passen nicht ins weichgespülte Bild vom „Triumphzug im Feuerwagen“.
Besonders durchsichtig wird Rothers hermeneutischer Trick, wenn er den Prophetenmantel kurzerhand zum Symbol für den Heiligen Geist und damit zur Parallele neuapostolischer Geistbegabung umdeutet. Dass der haarige Umhang ursprünglich schlicht ein Kleidungsstück war, interessiert nicht. Hauptsache, man kann aus dem alten Text eine Brücke schlagen zum heutigen Apostolat.
So entsteht die Suggestion: Wie Elia Elisa seinen Mantel überwarf, so legt Gott heute durch das Apostelamt den Geist auf die „Erstlinge“. Man erkennt die alte NAK-Strategie: Aneignung biblischer Motive zur Legitimation der eigenen Institution – auch wenn die historische Distanz mehr als 2500 Jahre beträgt und der Text in seiner ursprünglichen Gestalt rein gar nichts mit dem modernen Kirchenapparat zu tun hat.
Den Höhepunkt bildet Rothers Schluss: Elias Entrückung im „feurigen Wagen“ sei eine Art Vorbild der Wiederkunft Christi, die dereinst die Gläubigen „bestätigen“ werde. Damit werden mythologische Himmelfahrtsgeschichten in die Zukunft projiziert, als ob aus einem antiken Wundermärchen eine reale Zukunftsprognose abzuleiten sei. Wer so argumentiert, verlässt den Boden jeder kritischen Bibelwissenschaft und landet direkt im Bereich des Wunderschwärmens.
Dass die Szene vom Feuerwagen in moderner Zeit nicht nur als frommes Bild, sondern auch von Erich von Däniken als „Beweis“ für Alien-Besuche gedeutet wird, zeigt, wie anfällig solche Erzählungen für Projektionen aller Art sind. Wer sie heute noch als Tatsachen oder gar als prophetische Vorausdeutung liest, sollte sich fragen lassen, ob er nicht eher im Fahrwasser der Prä-Astronautiker als der Bibelwissenschaft schwimmt.
Die Erzählungen um Elia und Elisa sind literarische Konstrukte aus einer Zeit, in der religiöser Fanatismus, Gewalt gegen Andersgläubige und mythologische Entrückungsfantasien identitätsstiftend waren. Wer diese Texte heute unkritisch veredelt, betreibt Schönfärberei.
Eine nüchterne Betrachtung zeigt:
Alles andere ist Projektion, Wunschdenken oder kirchliche Apologetik. Wer also im 21. Jahrhundert aus dem „feurigen Wagen“ ein „Triumphzeichen Gottes“ machen will, schwurbelt – und zwar auf dünnstem Eis.