Der an Impertinenz kaum noch zu überbietende nac.today-Artikel „Teil des Problems – und Teil der Lösung“ ist ein Musterbeispiel kirchlicher Rhetorik, die scheinbare Selbstverantwortung predigt, um tatsächliche Selbstbestimmung zu verhindern. Unter dem Deckmantel von „Neuorientierung“ und „Mut zum Neubeginn“ wird der Mensch zum Objekt einer moraltheologischen Dressur degradiert:
Was hier als psychologische Einsicht verkauft wird – „Wir sind Teil des Problems“ –, ist in Wahrheit ein raffinierter Schuldtransfer: Die Kirche konstruiert das Problem („Sünde“), erklärt den Menschen kollektiv für schuldig und bietet sich sodann als einzige Instanz der „Lösung“ an.
Damit wird nicht nur das kritische Denken ausgeschaltet, sondern ein emotionaler Käfig gebaut, wie ihn die Religionspsychologie seit Wilhelm Reich, Erich Fromm und Viktor Frankl in zahlreichen Varianten beschrieben hat: Schuld erzeugt Abhängigkeit, und die vermeintliche Erlösung dient der Bindung an die Institution.
a) Die emotionale Architektur des Gehorsams
Indem der Artikel betont, Buße sei „nicht Scham und Schande, sondern Mut zum Neubeginn“, betreibt er subtile kognitive Dissonanzreduktion (Leon Festinger, 1957[1]).
Die Botschaft lautet: Du bist schuldig, aber wenn Du Dich unserer Ordnung fügst, darfst Du Dich gut dabei fühlen.
Diese Mischung aus Schuldinduktion und emotionaler Entlastung ist der Kern jeder religiösen Bindung durch Angst und Gnade – eine Technik, die in autoritären Sektenstrukturen systematisch kultiviert
wird.
b) Schuldprojektion und Verantwortungsumkehr
„Wir sind keine unschuldigen Opfer“, sagt der Stammapostel – ein scheinbar demütiger Satz, der in Wahrheit die Opfer-Täter-Umkehr betreibt: Derjenige, der durch religiöse Indoktrination in kindlicher Prägung zum unfreien Denken erzogen wurde, soll sich nun auch noch schuldig fühlen, Teil der „Macht des Bösen“ zu sein.
Das ist psychologisch perfide, denn es verschiebt die Verantwortung von der Institution auf den Einzelnen.
Religionspsychologisch betrachtet ist das ein typischer Fall von sektenhafter Verantwortungsdiffusion: Das System selbst wird moralisch unsichtbar, indem es alle moralische Last auf die Individuen verteilt.
Die gesamte Argumentation ruht auf der unbewiesenen Prämisse, der Mensch sei „von Natur aus sündig“ – eine dogmatische Erfindung des Augustinus, die zur Rechtfertigung der Zwangstaufe und priesterlichen Mittlerrolle diente.
Die historische Bibelwissenschaft hat längst gezeigt, dass das Konzept der Erbsünde im Alten Testament unbekannt ist und erst durch paulinische Interpretation von Gen 3 in den kirchlichen Diskurs gelangte. (vgl. James Barr, The Garden of Eden and the Hope of Immortality, 1992[1]).
Indem die NAK dieses Konzept fortschreibt, perpetuiert sie ein vormodernes Menschenbild, das dem naturwissenschaftlichen Verständnis von Evolution, Psychologie und Ethik diametral entgegensteht.
Der nac.today-Artikel zeichnet das Bild eines Menschen, der sich nur dann „bessern“ kann, wenn er sich einem transzendenten Willen unterwirft. Freiheit wird zur Illusion, Moral zur Abhängigkeit, „Heil“ zur Belohnung für Gehorsam.
Dem gegenüber steht das aufklärerische, humanistische Menschenbild:
Was Andreas Rothers Artikel als „Teil der Lösung“ verkauft, ist in Wahrheit Teil des Problems:
Ein System, das Menschen zuerst moralisch bricht, um sie dann mit religiösem Trost zu fesseln, kann niemals heilen. Es erzeugt Schuld, wo Erkenntnis nötig wäre, und es predigt Unterordnung, wo
Mündigkeit gefordert ist.
Der Satz „Je mehr wir Christus gleichen, desto weniger werden wir anderen zu schaffen machen“ ist die Quintessenz religiöser Entmündigung: Er ersetzt die ethische Verantwortung durch Nachahmungsgehorsam.
Doch wer wirklich „Teil der Lösung“ sein will, muss sich gerade von solchen Machtkonstrukten befreien – durch Bildung, Reflexion und den Mut, Schuld als das zu erkennen, was sie hier ist:
ein Instrument der Kontrolle, nicht der Befreiung.