Die Erlangung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.) in Deutschland erfordert in der Regel eine dauerhafte und stabile Organisation, die eine besondere Relevanz für die Allgemeinheit besitzt, verfassungstreu ist, einen Nachweis der organisatorischen Leistungsfähigkeit erbringt und Mitglieder zur Erhebung von Steuern (z.B. Kirchensteuer) befähigt, um eigene öffentliche Aufgaben wahrnehmen zu können. Der Status ist an keine bestimmte Größe gebunden, aber es wird gefordert, dass die Mitgliederzahl eine Gewähr für die Dauerhaftigkeit bietet.
Neben anderen sog. Glaubensgemeinschaften befindet sich die Neuapostolische Kirche (NAK) in Deutschland seit Jahren im Rückzug. Von ursprünglich fünfzehn selbstständigen NAK Gebietskirchen existieren nur noch drei: Westdeutschland, Nord- und Ostdeutschland sowie Süddeutschland.[i] Gemeinden werden zusammengelegt, Immobilien aufgegeben, Mitgliederzahlen sinken kontinuierlich.[ii] Für die Nachbarschaft mag das noch sichtbar sein – die Öffentlichkeit nimmt davon kaum Notiz.
Dennoch genießen die neuapostolischen Körperschaften weiterhin den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.). Das überrascht, denn die Verleihung setzt nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV[iii] voraus, dass eine Religionsgemeinschaft „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer“ bietet. Die Praxis legt nahe: Was einmal gewährt wurde, ist kaum mehr rückholbar.
[i] Neuapostolische Kirche Deutschland: „Die Gemeinden gehören zu einer der drei Gebietskirchen …“, offizielle Website, abgerufen 2025.
[ii] Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid): Neuapostolische Kirche – Mitgliederentwicklung, 2023; vgl. auch NAK-Jahresberichte.
[iii] Art. 140 Grundgesetz i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 Weimarer Reichsverfassung.
Die Verfassung schreibt zwei Kriterien vor: Dauerhaftigkeit und Rechtstreue.[i] Ein „besonderes öffentliches Interesse“ ist im Grundgesetz nicht vorgesehen, taucht aber gelegentlich in Verwaltungshinweisen auf – dort wird es so weit ausgelegt, dass bereits die bloße Religionsausübung der Mitglieder genügt.[ii]
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die Schwelle für den Entzug hoch angesetzt. Im „Zeugen-Jehovas“-Beschluss (2000, 2015) heißt es: Politische Wahlenthaltung mag problematisch erscheinen, reicht aber nicht, um Rechtstreue abzusprechen.[iii] Die Popularität einer Kirche, ihre Mitgliederentwicklung oder ihre öffentliche Sichtbarkeit sind damit kein Kriterium.
[i] Ebd.; vgl. auch BVerfGE 102, 370 (Beschluss v. 19.12.2000, 2 BvR 1500/97).
[ii] Bundesministerium des Innern: Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Stand 2023.
[iii] BVerfG, Beschluss vom 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97 („Zeugen Jehovas I“); Beschluss vom 30.06.2015 – 2 BvR 1282/11 („Zeugen Jehovas II“).
In allen Bundesländern existieren Entzugsregelungen. So bestimmt etwa das NRW-Körperschaftsstatusgesetz: „Der Entzug der Körperschaftsrechte erfolgt in Verfahren und Form entsprechend ihrer Verleihung.“[i] Baden-Württemberg hat 2025 ein neues Körperschaftsstatusgesetz verabschiedet, das eine ausdrückliche Entziehungsnorm enthält („können entzogen werden“), allerdings mit einer Sperre für sogenannte „Altkörperschaften“ nach Art. 140 GG.[ii]
Faktisch wurde dieser Entzug jedoch noch nie praktiziert. Selbst die massiv geschrumpften christlichen Freikirchen behalten ihren Status. Behörden und Politik scheuen einen Präzedenzfall, weil er als Eingriff in die Religionsfreiheit gedeutet würde.
Die NAK ist ein Musterfall:
Formal erfüllt sie dennoch die Anforderungen: Es gibt eine zentrale Organisation, Finanzkraft, funktionierende Gemeindestrukturen und keine verfassungsfeindlichen Tendenzen. Damit gilt sie aus juristischer Sicht weiterhin als „dauerhaft“ obwohl dies faktisch nicht so ist
Der Status ist für die betroffenen Kirchen attraktiv: Steuererhebung, Arbeitsrecht, hohes Prestige.
Für die Verwaltung ist der KdöR-Status ein Instrument der Gleichbehandlung – und zwar in beide Richtungen. Ein Entzug bei der NAK würde sofort die Frage aufwerfen, warum man ihn schrumpfenden altkirchlichen Körperschaften (etwa den Methodisten oder Adventisten) nicht ebenfalls aberkennt.
Stattdessen gilt in Deutschland eine Art Stillhaltepolitik: Solange keine Verfassungsfeindlichkeit vorliegt, bleibt der Sonderstatus bestehen – unabhängig von realer Bedeutung oder öffentlichem Interesse.
Die NAK zeigt exemplarisch, dass das Kriterium „Dauerhaftigkeit“ in der Praxis entkernt ist. Mitgliederzahlen und gesellschaftliche Relevanz spielen keine Rolle mehr. Das führt zu einer Schieflage: Der K.d.ö.R.-Status verkommt zum lebenslangen Privileg, das selbst im Niedergang nicht überprüft wird.
Rechtlich wäre der Entzug möglich. Politisch ist er kaum denkbar. Die Konsequenz: Auch Kirchen, die sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, behalten ihre Sonderrechte – und das ganz ohne besonderes öffentliches Interesse.