Der Hintergrund von Minsk II ist derjenige Konflikt, der teilweise aus den Vorgängen rund um den Euromaidan (2013/2014) resultierte: Der Euromaidan (und der anschließende Machtwechsel in Kiew) leitete eine dramatische Verschiebung der ukrainischen Außen- und Innenpolitik ein, was bei kaltherziger deutscher Politik dann zu russischer Intervention, Annexion der Krim und separatistischen Bewegungen im Donbas führte. – Mein Blick auf die Rolle Angela Merkels:
Als im Februar 2022 russische Truppen die Ukraine mit einem massiven Angriffskrieg überzogen, wurde die politische Debatte in Europa schlagartig von einer Frage dominiert: Hätte dieser Krieg
verhindert werden können?
Ins Zentrum rückte dabei ein Land, das wie kaum ein anderes über Jahre hinweg die europäische Russlandpolitik geprägt hatte: Deutschland. Und mit ihr das politische Vermächtnis Angela Merkels.
Sie selbst hat Ihre Sicht auf die Dinge auch in Bezug zum Ukrainekrieg in einem ausführlichen Interview in der Sendung „phoenix persönlich“ dargelegt:
Nach diesem Video habe ich mir zunächst Pressestimmen aus den fraglichen Jahren angeschaut. Und zu guter Letzt bin ich auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung auf eine neutrale Analyse der 10 Jahre seit Minsk-II gestoßen. die mich zu einer etwas differenzierteren Sichtweise als derjenigen Angela Merkels gebracht hat:
Klinische Pathologen werden von anderen Ärzten gerne einmal als „postmortale Klugscheißer“ verspottet (was übrigens nicht unbedingt für die fachliche Qualität der Spötter spricht). – Ich gebe zu, dass ich hier in etwa die Rolle eines Klugscheißers einnehme. Hinterher ist man immer schlauer! Und mit „wenn“ und „hättest Du“ ist schlicht kein Krieg zu gewinnen… Aber dennoch:
Mein Blick zurück auf die Jahre nach dem Euromaidan 2013/14 ist ernüchternd. Deutschland hat der Ukraine nie offen die kalte Schulter gezeigt – aber es hat es faktisch getan. Die zurückhaltende Unterstützung, das energiepolitische Verflechtungsdogma und eine vorsichtige, teils konfliktscheue Diplomatie schufen eine gefährliche Ambivalenz, deren Konsequenzen sich erst im Rückblick vollständig offenbaren.
Die deutsche Außenpolitik der 2010er-Jahre stand im Zeichen einer über Jahrzehnte aufgebauten Grundannahme:
Stabilität entsteht durch Dialog, Handel und pragmatische Kompromisse.
Dieser Gedanke, der aus der Ostpolitik der 1970er-Jahre stammt, war in der deutschen politischen DNA fest verankert. Er war gut gemeint – aber schlecht geeignet für einen Akteur wie Wladimir Putin, der Dialog nicht als Grundlage gemeinsamer Lösungen versteht, sondern als Bühne strategischer Täuschung.
Während der Euromaidan eine neue proeuropäische, demokratisch orientierte Ukraine hervorbrachte, verharrte Berlin in alten Mustern. Deutschland versuchte, gleichzeitig die Ukraine diplomatisch zu stützen und Russland nicht zu verärgern. Dieses Lavieren schuf eine gefährliche Doppelbotschaft:
Für Moskau war dieses Signal eindeutig:
Der Westen ist uneinig, und Deutschland ist das schwächste Glied in der Kette.
Deutschland schloss bereits zu Beginn des Donbas-Krieges im Jahr 2014 kategorisch aus, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Keine Defensivwaffen, keine Ausrüstung, kaum Ausbildungshilfe. Die Leitlinie lautete: „Keine Waffen in Krisengebiete“ – eine moralisch verständliche, aber strategisch naive Position.
Während Kanada, die USA oder Großbritannien ukrainische Streitkräfte bereits ab 2015 ausbildeten, konzentrierte sich Deutschland auf Helme, Sanitätsmaterial und rhetorische Anteilnahme.
Dabei war die Ukraine im Donbas einer russisch gesteuerten, militärisch überlegenen Intervention ausgesetzt.
Die Folge:
Die Ukraine verlor 2014–2015 nicht nur Territorium, sondern auch strategisch entscheidende Zeit. Die russische Einschätzung, dass die Ukraine auch künftig unterbewaffnet bleiben würde, verfestigte sich.
Ein frühes deutsches „Ja“ zu defensiven Waffen hätte den kalkulierten Preis eines russischen Angriffs massiv erhöht. - Dass Berlin hier zögerte, war ein Fehler von historischem Ausmaß.
Kaum ein Symbol steht stärker für die verfehlte deutsche Russlandpolitik als die Nord-Stream-Pipelines.
Während die Annexion der Krim im Frühjahr 2014 noch frisch war, stellte Berlin 2015 die Weichen für Nord Stream 2 – eine Pipeline direkt zum Aggressor, vorbei an osteuropäischen Verbündeten und der Ukraine.
Politisch signalisierte dies zweierlei:
In Moskau traf dies auf eine klare Interpretation:
Europa ist abhängig – Abhängigkeit schafft Erpressbarkeit – Russland muss nur abwarten.
Mit jedem Kubikmeter Gas, der durch Nord Stream floss, wurde Europas strategische Position schwächer. - Deutschland machte sich selbst zur politischen Geisel einer Energiepartnerschaft, die längst toxisch war.
Angela Merkel und François Hollande erzielten 2015 in Minsk ein Abkommen, das kurzfristig Schlimmeres verhinderte. Es war ein diplomatischer Erfolg – aber einer ohne strategisches Fundament. Die bittere Wahrheit:
Minsk II war ein Waffenstillstand auf Abruf, weil es Russland die Möglichkeit gab, jeden Fortschritt in Geiselhaft zu nehmen.
Für Deutschland war es dennoch ein gangbarer Weg. Die Logik lautete:
„Ein imperfekter Frieden ist besser als ein fortgesetzter Krieg.“
Doch dieser Frieden war nur scheinbar:
Er konservierte einen Konflikt, der später unter ungleich verheerenderen Bedingungen wieder ausbrach.
Die Ukraine musste unterdessen auf jene Unterstützung verzichten, die ihren Verteidigungsspielraum hätte stärken können.
Hier liegt der Kern der historischen Kontroverse – und die Antwort lautet: Ja!
(Nicht sicher – aber wahrscheinlich.)
Wenn Deutschland frühzeitig:
…dann hätte Putin sein strategisches Kalkül überdenken müssen.
Die Invasion von 2022 war kein irrationaler Akt, sondern eine Fehleinschätzung, die auf den Beobachtungen der Jahre 2014–2021 beruhte:
Der Westen ist zögerlich, gespalten, energieabhängig – und Deutschland ist sein Bremsklotz.
Die Ukraine war damit in den Augen Moskaus ein geopolitisches Niemandsland: nicht geschützt, nicht integriert, nicht vollständig unterstützt.
Ein anderer Kurs hätte diese Wahrnehmung erschüttert.
Deutschlands Verhalten war keine Absage – aber eine gefährliche Halbherzigkeit
Deutschland wollte die Ukraine nie im Stich lassen. - Aber Deutschlands Politik war geprägt von Angst, Wohlstandsbequemlichkeit und der Illusion, Konflikte ließen sich durch Dialog und wirtschaftliche Verflechtung entschärfen.
Das Ergebnis war eine Politik der Halbherzigkeit, die sich unter der Regentschaft von Kanzler Scholz, und sogar jetzt noch unter Friedri Schmerz ? fortsetzte:
In diesem Vakuum wuchs der Krieg.
Der Fehler war nicht das Streben nach Diplomatie!
Der Fehler war, diplomatische Bemühungen nicht durch klare Macht- und Abschreckungsstrukturen zu stützen.
Die kalte Schulter war nie gewollt – aber sie war zu spüren.