Gestern wurde mir in einer persönlichen Nachricht eine Frage gestellt, die ich gerne öffentlich beantworten möchte, da sich vielleicht doch ein paar mehr Leser für das Thema interessieren:
„Ich habe einmal eine doofe Frage: Die NAK ist an der obersten Spitze ein e. V. in der Schweiz. Was ist eigentlich der Vatikan, die oberste Spitze der katholischen Kirche?“
Das ist überhaupt keine „doofe Frage“ sondern es geht um einen der weitest verbreiteten Irrtümer über die (wie schon oft gesagt: so nicht existente) Neuapostolische Kirche: Die Strukturen von NAK und RKK sind nicht miteinander vergleichbar! Schauen wir uns zunächst einmal die katholische Kirche an:
Sie ist insgesamt so strukturiert wie in der Graphik rechts, nämlich so, wie eine die einzelnen NAK-Gebietskirchen. Der Vatikan – übrigens ein souveräner Staat – ist dann so etwas wie die Kirchenverwaltung. – Aber damit hören die Ähnlichkeiten auch schon auf…
Anders als die Neuapostolischen Kirchen kennt die Römisch Katholische Kirche demokratische Strukturen, die in die Kirche hineinwirken. Ich will hier nicht zu weitschweifig werden, sondern empfehle unseren Lesern einmal in der örtlichen Gemeinde nachzufragen, welche Mitsprache- und Einflussmöglichkeiten der Pfarrgemeinderat, ein Gremium von Laien (oder auf nakisch: Nicht-Amtsträger, Männer und Frauen), hat und wie weit er in die Diözesanebene hineinwirken kann.
Aus den Gemeinden werden Mitglieder in den Diözesanrat entsendet und aus diesem wiederum Mitglieder in den Katholikenrat.
Anders als in den Neuapostolischen Kirchen gibt es ein Mitspracherecht bei der Besetzung von Pfarreien und bei der Erhebung geeigneter Kandidaten in das nächsthöhere Weiheamt, normalerweise der Weihbischof, der so etwas ist wie früher ein Hilfsapostel der NAK, also quasi ein Bischof mit Apostelvollmachten. Aber wirklich vergleichbar ist das nicht…
Vergleichbar mit dem Arbeitsbereich eines NAK-Apostels ist am ehesten ein Bistum (welches natürlich wesentlich größer ist!), wobei es auch hier ein Mitspracherecht bei der Besetzung des Bischofs-Stuhls gibt, ebenso verhält es sich beim Erzbischof, der der nächsthöheren Kirchenebene, dem Erzbistum vorsteht.
Aus den Reihen der Bischöfe und Erzbischöfe sucht sich dann allerdings das absolute Kirchenoberhaupt, der Papst seine engsten Berater aus, die Kardinäle. Dabei kann durchaus ein Bischof zum Kardinal erhoben werden und der „Chef“ des übergeordneten Erzbistums eben nicht. In Deutschland ist das derzeit beim Bischof von Mainz so: Bischof Lehmann ist Kardinal, sein „Chef“ (genauer: Metropolit), der Erzbischof von Freiburg nicht…
Aus den Reihen der Bischöfe und Erzbischöfe – aber nicht zwangsläufig der Kardinäle – sucht sich der Papst auch die Vorsitzenden der Dikasterien, also der zentralen Behörden der Kirchenverwaltung aus. Meist werden diese Männer dann allerdings auch in den Kardinalsstand erhoben. – Ein Beispiel dafür mag der ehemalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller sein, der als Bischof zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen wurde, dann zum Erzbischof ernannt wurde und mittlerweile den Kardinalshut trägt.
Eine wesentliche Aufgabe der Kardinäle ist dann letztlich die Papstwahl. Ein amtierender Papst hat zwar generell die Möglichkeit einen Favoriten zu protegieren, es steht aber in den Sternen, ob der bei eintretender Vakanz des Heiligen Stuhls dann auch Papst wird. Funktioniert hat das im Fall von Papst Benedikt XVI., der eindeutig engster Vertrauter und Favorit seines Vorgängers Johannes Paul II. war…
Wie auch immer: Die katholische Kirche stellt sich insgesamt als eine einzige Pyramide dar, deren Spitze der im Vatikanstaat beheimatete Vatikan ist.
Um nun zu den Neuapostolischen Kirchen zu kommen, ist der erste Unterschied zur katholischen Kirche, dass es definitiv keine echten demokratischen Strukturen gibt! Außerdem verhält es sich so, dass jede einzelne Gebietskirche eine solche Pyramide darstellt. Die Neuapostolische Kirche wäre dann so etwas wie ein Dorf aus Pyramiden. Der NAKI e.V. ist allerdings keine dieser Pyramiden… sondern eher so etwas wie eine Räuberbande, die das Dorf mit den vielen Pyramiden von außen beherrscht.
Tatsache ist nämlich, dass die einzelnen Gebietskirchen nichts mit dem NAKI e.V. zu tun haben, und damit hat auch keines der Mitglieder einer Gebietskirche als solches etwas mit dem NAKI e.V. zu tun.
Ich will versuchen, am Beispiel der deutschen Jagdorganisationen zu verdeutlichen, wie eine föderal strukturierte demokratische Hierarchie, die in der Grafik oben rechts symbolisiert wird, aufgebaut ist:
Die in den Verbänden organisierten Jäger sind Mitglieder des jeweiligen Kreisverbandes (der aus mehreren Hegeringen besteht) in den sie ihre Beiträge zahlen und dessen Gremien und Vorstand demokratisch gewählt sind.
Die einzelnen Kreisjagdverbände sind als juristische Personen Mitglieder des jeweiligen Landesjagdverbandes (der aus mehreren Jagdbezirken besteht), in dem sie durch ihre gewählten Vorstände vertreten sind. Die jeweiligen Vorstände wählen den Vorstand und die Gremien des Landesjagdverbandes. Die Landesjagdverbände finanzieren sich durch einen festgelegten Anteil an den Beiträgen, die die einzelnen Jäger an ihren Kreisverband entrichten.
Die Landesjagdverbände sind als juristische Personen wiederum Mitglieder des Deutschen Jagdschutzverbandes, in dem sie durch ihre gewählten Vorstände vertreten sind. Die jeweiligen Vorstände wählen den Vorstand und die Gremien des Bundesverbandes. Der Bundesverband finanziert sich durch einen festgelegten Anteil an den Beiträgen, die die einzelnen Kreisjagdverbände an ihren Landesjagdverband entrichten.
So ist letztlich jeder Jäger in Deutschland auch Mitglied in den überregionalen Jagdverbänden in die er durch die demokratischen Strukturen hineinwirken kann…
Exakt so müsste es auch sein, wenn das einzelne Mitglied einer NAK-Gebietskirche mit dem NAKI e.V. in Verbindung stehen sollte. – Dort ist das Prinzip aber komplett auf den Kopf gestellt (worden!).
Die jetzige Struktur entspricht nicht derjenigen der seit etwa 1878 bestehenden und gewachsenen Neuapostolischen Kirche, die ursprünglich tatsächlich so etwas wie eine Gesamtkirche war – ähnlich der katholischen Kirche (allerdings schon immer ohne jedwede demokratische Struktur!!).
Es wäre vielleicht eine interessante Aufgabe für jemanden, dem der Laden NAK etwas bedeutet, den Strukturveränderung im Laufe der rund 137-jährigen Geschichte nachzuspüren und die Entwicklung hin zu den jetzt gültigen einheitlichen Gebietskirchenverfassungen vom 28. Februar 1999 und den NAKI-Vereinsstatuten vom 21.05.2010 aufzuzeigen.
Mir ein wenig zu dröge, weil letztlich ausschließlich der Status quo relevant ist. Und der sieht so aus, dass ausschließlich die Apostel Mitglieder des NAKI e.V. sind. Sie sind dies als natürliche Personen und nicht als gesetzliche Vertreter der Gebietskirchen!
Im Canities-News-Beitrag „die Organisationsstruktur der Neuapostolischen Kirchen“ (- klick) vom 15.10.2013 habe ich das System NAK ausführlich beleuchtet und brauche deswegen hier nicht näher darauf einzugehen…
Ich will lediglich noch einmal auf den wesentlichen Unterschied zwischen RKK und NAK hinweisen, durch den allein schon, die beiden Systeme nicht miteinander vergleichbar sind:
Die Apostel werden nicht von demokratisch legitimierten Gremien innerhalb der einzelnen Gebietskirchen gewählt oder wenigstens vorgeschlagen, wie es in der katholischen Kirche der Fall ist, sondern der jeweilige Vorsitzende des Apostelvereins bestimmt, wer Apostel und somit Vereinsmitglied im NAKI e.V. wird.
Der Vorsitzende des Apostelvereins NAKI e.V. bestimmt auf die gleiche Weise, wer der Gebietskirchenpräsident wird.
Es ist also nicht so, dass die NAK-Gebietskirche ihre Vertreter in die Gesamtkirchenleitung entsendet, sondern es ist Fakt, dass ein autokratischer Verein außerhalb der Kirchenstrukturen besteht, der seine Mitglieder in die Gebietskirchen entsendet um dort zu herrschen. – Das entspricht am ehesten den Kolonialsystemen der vergangenen Jahrhunderte…
Mit anderen Kirchenstrukturen ist das jedenfalls nicht vergleichbar, und mit föderalen demokratischen Systemen hat das ganze schon gar nichts zu tun. Erst recht nicht mit dem, was sich der jüdische Wanderprediger und Möchtegern-Gesellschaftsreformer Jesus aus Nazareth gedacht haben mag. – Aber okay… die NAK hat sowieso nicht den geringsten Bezug zur Urkirche und den Anhängern des Weges…
Von ihrer Entstehungsgeschichte her ist sie nicht einmal wirklich christlich, sondern steht außerhalb des Leibes Christi.
So
what?!
In meinem Artikel „Jugend in der NAK… gestern und heute… und morgen?“ auf der Seite http://www.canities-news.de/die-neuapostolische-kirche/kinder-und-jugend-in-der-nak/ schließe ich mit dem Hinweis auf die grundlegende Bedeutung des der christlichen Religion zugrunde liegenden Gottes- und Menschenbildes – und damit will ich mich jetzt einmal ausführlicher auseinandersetzen.
Eine der wohl heftigsten und umfassendsten diesbezüglichen „Abrechnungen“ stammt sicherlich von Tilmann Moser, der in seinem Buch: „Die Gottesvergiftung“ Gott persönlich anklagt und beschuldigt:
(Zitat) „[...]Neulich war ich auf einem gruppentherapeutischen Training, und es ging um das Ausmaß von Hemmungen, das jeder mit sich herumträgt. Da fragte der Trainer, welche Sätze uns in unserem Leben am meisten eingeschüchtert hätten. Weißt du, was bei mir zum Vorschein kam, als die mich domestizierende, einengende, schachmatt setzende stereotype Phrase: Was wird der liebe Gott dazu sagen?
Durch diesen Satz war ich früh meiner eigenen inneren Gerichtsbarkeit überlassen worden. Im Grunde mussten die Eltern gar nicht mehr sehr viel Erziehungsarbeit leisten der Kampf um das, was ich tun und lassen durfte, vollzog sich nicht mit ihnen als menschliche Instanz, mit der es einen gewissen Verhandlungsspielraum gegeben hätte, sondern die Selbstzucht, wie das genannt wurde, war mir überlassen, oder besser, der rasch anwachsenden Gotteskrankheit in mir. [...]
Es war mir als Kind so selbstverständlich, dass die Welt, die jetzige und die spätere, aus Geretteten und aus Verdammten bestand; das Fürchterliche war nur, dass ich, wie es auf manchen Bildern zu sehen ist, immer über dem Abgrund der Verdammnis hing und niemals wusste, wie lange der schmale Steg noch halten würde der mich trug […]
Ich habe dich, wie es mir deine Diener nahe legten, angestaunt ob deiner Güte, Abraham den Isaak nicht schlachten zu lassen. Du hättest es ja so leicht fordern können, er hätte es für dich getan, und mit dem Rest von Menschenwürde in deinem auserwählten Volk hätte es nur noch ein wenig fürchterlicher ausgesehen. Oder hast du vielleicht nur ein unverschämtes Glück gehabt, dass dir in letzter Sekunde die Idee kam, einen Engel an den Ort des geplanten Gemetzels zu schicken? Vielleicht wären dem guten Abraham doch noch Zweifel an den Vorteilen seiner privilegierten Beziehung zu dir gekommen, wenn ihn erst Isaacs Blut bespritzt hätte? Bei deinem eigenen Sohn warst du dann ungenierter und hast deinem Sadismus freien Lauf gelassen. Man hat mir weismachen wollen, dass du mit seiner Opferung am Kreuz den neuen Bund der Liebe hast einläuten wollen. Und wiederum habe ich versucht, auf allgemeine Aufforderung hin, dich anzustaunen, weil du für mich armen Sünder deinen einzigen Sohn geopfert hast. Das macht natürlich Eindruck. Wie schlecht muss ich sein, dass es einer solchen Inszenierung bedarf, um mich zu erlösen! Seltsam, seltsam - keiner von den Predigern hat je Verdacht geschöpft, dass vielleicht nicht mit uns, sondern mit dir etwas nicht stimmt, wenn du vor lauter Menschenliebe deinen Sohn schlachten lassen musstest. Und uns gibst du ihn dann zu trinken und zu essen, wie es heißt, zur Versöhnung.“ (Zitatende)
vgl. Tilman Moser „Gottesvergiftung“, erschienen bei Suhrkamp-Verlag, Berlin, 1976, S. 16 ff
Auch wenn man bei Moser die Auswirkungen der religiösen Erziehung nicht losgelöst von den psychologischen Besonderheiten seiner familiären Situation, auf die ich hier nicht näher eingehen will, sehen kann und wenn man grundsätzlich eine Verquickung von Gottesbild und Vater- bzw. auch Mutterbild konstatieren muss, wäre es zu kurz gegriffen, Mosers Anklage nur auf ein Problem christlicher Erziehungspraxis und ihrer Methoden zu reduzieren.
Mosers Auseinandersetzung mit seiner „Gotteserfahrung“ enthält sehr wohl auch eine theologische Kritik, wenn er sich nicht nur auf die familiären Erziehungsmaßnahmen, sondern direkt auf die biblischen Texte bezieht. In den angeführten Zitaten wird das deutlich in Bezug auf die Geschichte von der Opferung Isaaks und die Sühne-Opfertod-Theologie.
An dieser Stelle ist eine Arbeit von Klaus-Peter Jörns hilfreich:
„Zerstörtes Vertrauen“
Zur traumatisierenden Wirkung theologischer Vorstellungen von Gott und Mensch und ihrer Überwindung
Jörns weist zu Beginn seiner Arbeit darauf hin, dass er sich der Methode der Hermeneutik bedient (Theorie und praktische Methode der Auslegung) und diese in der von ihm angewandten Form geht strikt davon aus, dass
(Zitat) „[…] das literarische Produkt Bibel zugleich ein Produkt vielfältiger Theologien ist. Sie bezieht sich auch auf außerbiblische Überlieferungen und geht davon aus, dass Gott nicht identisch ist mit den Wahrnehmungsgestalten, die die jeweils eigene theologische Tradition vermittelt. Die Wahrheit ist allen Religionen voraus – wie jene ‚ganze Wahrheit‘, in die uns nach Jesu Worten der Geist der Wahrheit führen wird (Joh. 16, 13). Und das schließt ein, dass wir nicht bei der historischen Kritik der Bibel stehen bleiben können, sondern zu einer theologischen Kritik unserer biblischen und nachbiblischen Traditionen übergehen müssen, wenn wir – im Vertrauen auf die Geistesgegenwart Gottes – unsere theologische Arbeit verantworten wollen.1 Solche theologische Kritik drückt Veränderungen der Wahrnehmungsgestalt Gottes und anderer religiöser Vorstellungen aus, ist aber weder gegen das frühe Judentum noch gegen die frühen Christen oder andere Religionen gerichtet. […]“ (Zitatende)
Entscheidend ist für uns hier die Aussage: die biblischen Texte beschreiben nicht Gott, sondern die „Wahrnehmungsgestalten Gottes“ wie die jeweilige theologische Tradition sie darstellt.
In diesem Zusammenhang erfahren wir z.B. wie Jahwes in der Sprache äußerster Gewalt formulierten Drohungen Eingang in die biblischen Texte gefunden haben:
„… wenn ihr und eure Söhne euch von mir abwendet und die Gebote und Gesetze, die ich euch gegeben habe, übertretet, wenn ihr euch anschickt, andere Götter zu verehren und anzubeten, dann werde ich Israel in dem Land ausrotten, das ich ihm gegeben habe.“ (1. Kön. 9, 6–7)
Noch brutaler, ja, geradezu sadistisch sind die 53 Flüche im Dtn. 28, 15–69 formuliert. Alle nur denkbaren Übel, Krankheiten und Note einschließlich der Ausrottung sollen über Israel bzw. die Einzelnen kommen, wenn sie Jahwe untreu werden.
Diese Gewaltverkündigung ist keine göttliche Offenbarung, wie uns beigebracht wurde und wie es z.B. evangelikale Fundamentalisten auch heute noch glauben, sondern sie stammt aus assyrischen Vasallenverträgen und nennt die Sanktionen, die für den Fall des Vertragsbruches für die Partner des Großkönigs vorgesehen waren. Solche Vasallitätsverpflichtungen mussten eine Zeitlang auch die judaischen Könige in Jerusalem übernehmen. Als am Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. das Assyrerreich zusammenbrach und ein Machtvakuum entstand, ließen judaische Theologen die Forderungen des Großkönigs nun vom Gott Israels, von Jahwe, ausgehen.
„Damit … haben sie Israel innerlich von allen Despoten unabhängig gemacht, dem Gott Israels aber gleichzeitig Eigenschaften eines Despoten härtester Sorte zugeschrieben.“
Vgl. Othmar Keel, Monotheismus – ein göttlicher Makel?, in: NZZ 30./31. 10. 2004, 68.
Im Weiteren untersucht Jörns die Hiob-Geschichte und kommt hier zu dem Ergebnis:
(Zitat) „[…] Die Kritik an dieser Theologie liefert das Buch selbst, insofern die Klagen des Hiob Gott die menschlichen Leiden vorhalten. Sie ähneln darin wichtigen Zügen in den griechischen Tragödien, vor allem bei Sophokles, und liegen ja auch zeitlich dicht beieinander. In beider theologischer Kritik äußern sich ‚über das anklagende Aussprechen und Beschreiben der menschlichen Leiden‘ die gewachsene Individualität und das neue Selbstbewusstsein. Und beides sträubt sich gegen eine Theologie, die Gott das Recht zugestand, mit menschlichen Leiden nach Art eines Marionettenspielers umgehen zu können. […]“ (Zitatende)
Auch die Erzählung von Abraham und der verlangten und vorbereiteten, aber nicht durchgeführten Opferung seines Sohnes Isaak interpretiert Jörns als „Schwellengeschichte“, in der sich ein theologischer Darstellungswandel Gottes vollzieht, indem dieser Gott auf das bis dahin geltende Recht des Menschenopfers verzichtet und sich mit einem Tieropfer begnügt.
(Zitat) „[…] wie wir es dann auch Ex 13, 13 als (deutlich nachgetragene) Neuregelung in der Thora finden. Trotz dieses Fortschritts, der allerdings für die Tiere eine furchtbare Verschlechterung ihres Status bedeutet hat, geht auch bei jedem und jeder, die heute die Erzählung Gen. 22, 1–14 lesen oder hören, ein tiefer Schrecken durch die Seele. Er hinterlasst bei vielen ein Trauma, das das Vertrauen in (diesen alten) Gott endgültig zerstören kann. […]“ (Zitatende)
Eine weitere Veränderung findet sich bei den Propheten Hosea und Amos, die verkünden, dass Gott „die Tieropfer stinken“. Statt der ewigen Stellvertreteropfer, die durch die Präsentation von unschuldigen Wesen die eigene Lieblosigkeit zudecken müssen, wolle Gott von den Menschen endlich Taten einer aus Liebe und Barmherzigkeit hervorgehenden Gerechtigkeit sehen.
Diese Theologie, diese „Rede von Gott“ wurde von Jesus ausdrücklich bestätigt: Jörns versteht die Geschichte von der Tempelreinigung als Theologie- und Kultkritik, als Schwellengeschichte, weil es
(Zitat) „[…] darin um die Überwindung jenes traumatisierenden Schreckens geht, der mit der Sprache und Praxis göttlicher Gewalt in biblischen und außerbiblischen Überlieferungen verbreitet wird. […]“ (Zitatende)
Die Lehre Jesu, sein reden von Gott als „Abba“, als liebendem Vater bedeutet das Ende einer
(Zitat) „[…] Theologie und Anthropologie, die die Sterblichkeit als Sündenfolge verstehen
und das alte Schema heiliger Gewalt benötigen, um von Versöhnung mit Gott reden zu können. Und entsprechend bedarf Jesu Gottesbotschaft keiner Sprache der Gewalt mehr – auch nicht mehr im Sinne einer
traumatisierenden Anthropologie, die die Menschen als böse von Kindheit an bezeichnet und jedes Scheitern, jede Lieblosigkeit, mit der angedrohten Verwerfung quittiert. […]
Während Jesus die traumatische Angst in der Welt vor Gottes Zorn durch den Glauben an Gottes Liebe überwunden hatte (Joh 16, 33), hat die frühe judenchristliche Theologie die alten Traumata in vielem
reproduziert, indem sie den Tod Jesu wieder mit der für notwendig gehaltenen Sühne in Verbindung brachte. Das Leben Jesu, die Geschichte von der Mensch gewordenen Liebe Gottes, spielte keine Rolle
mehr, sondern nur sein für sich genommener Tod und seine Auferstehung. Und Generationen von Menschen wurden glauben gemacht, sie seien mit ihren Sünden schuld an Jesu Leiden und Sterben, aber auch,
dass ihre todbringende Krankheit eine Strafe Gottes sein könnte. […]“ (Zitatende)
Diese Auffassung wird auch heute noch von der Mehrheit der Christen geteilt, ja oft vehement verteidigt, wie ich selber schon in Diskussionen erlebt habe – aber an dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass es eine Frage der theologischen Sicht ist, ob wir durch die Interpretation der Kreuzigung als gottgewolltes Sühneopfer das Trauma reproduzieren oder überwinden:
(Zitat) „[…] Wer der paulinischen Erlösungstheologie nicht mehr folgen kann, kann sich trotzdem
an Jesus halten, um das Sündentrauma abzuwehren: indem er Jesus glaubt, dass es gar keines stellvertretenden Sterbens bedurft hat, weil Gott ohne jede Vor- oder Gegenleistung durch seine Liebe alle menschlichen Defizite auszugleichen vermag.
Mit dieser neuen Bindung an Jesus nimmt die Theologie nicht nur bestimmten Erzählungen ihren traumatisierenden Stachel. Sondern sie beendet auch den vom Trauma ausgelösten Wiederholungszwang, der sich in der klassischen Erlösungstheologie und in den durch sie bestimmten Ritualen eine kirchliche Sicherung seiner Selbstreproduktion geschaffen hat. […]“ (Zitatende)
Es gäbe also durchaus die Möglichkeit, sich von der traumatisierenden Wirkung theologischer Vorstellungen von Gott durch den Einsatz historisch-kritischer Bibelwissenschaft und theologischer Kritik zu befreien. – Aber das wird besonders in fundamentalen Religionsgemeinschaften negiert oder ignoriert bzw. sogar als gotteslästerlich oder Teufelswerk betrachtet. In evangelikalen Kreisen klammert man sich ängstlich an das überlieferte Schriftwort, in neuapostolischen Kreisen kommt noch die besondere Deutungshoheit der Apostel dazu. Dies jedoch sind theologische Laien, die zu theologischer Kritik gar nicht ausgebildet sind, ja nicht einmal Berechtigung oder Notwendigkeit derselben erkennen können.
Was aber sehr wohl erkannt und genutzt wurde und wird, ist die Möglichkeit durch Aufrechterhaltung und Weitergabe der traumatisierenden biblischen Inhalte ein System der Unfreiheit und Abhängigkeit der Gläubigen zu stabilisieren, denn eine Freilassung aus den traumatisierenden biblischen Bezügen würde auch eine Entlassung in größere geistige Freiheit bedeuten.
Dazu jetzt abschließend die Betrachtung meiner eigenen neuapostolischen Prägung und Entwicklung:
Durch meine neuapostolische Erziehung waren mir die meisten biblischen Geschichten von klein auf vertraut und haben zusammen mit der entsprechenden Unterweisung in Kirche und Elternhaus mein Gottes- und Menschenbild geprägt
Ich habe mich niemals als derart leidend erlebt, wie es Moser beschreibt – ich habe gewagt, vor mir und anderen mein Unbehagen am Alten Testament zu äußern. Dies allerdings nur leicht dahingesagt, nicht dabei verweilend, niemand sollte sich Sorgen um mich machen müssen, man hatte mir ja oft erklärt, dass wir vieles nicht verstehen können, aber dennoch nicht zweifeln dürfen! Die einzig angemessene Reaktion auf solche Gefühle war: Feste glauben (geht’s auch wider die Natur – Jesus spricht ja: glaube nur!) und vor allem nicht weiter mit diesen Gedanken beschäftigen (Gedanken sind wie Vögel: wir können nicht verhindern, dass sie über unsere Köpfe fliegen, aber wohl, dass sie Nester in unseren Haaren bauen!)
Das Alte Testament und die darin enthaltenen Gottesvorstellungen mussten als göttlich inspirierte Texte mit Wahrheitsgehalt akzeptiert werden, was nicht verstanden werden konnte, musste geglaubt werden.
Für Angehörige der NAK ergibt sich zusätzlich eine spezifische Verschärfung der Traumatisierung durch die Gottesdarstellung der Bibel:
Die allgemeine Christenheit hat die Möglichkeit, in gewisser Weise den Gott bzw. die Gottesvorstellung des Alten Testaments hinter sich zu lassen und sich auf Aussagen Jesu und der sich daraus entwickelten Lehre zu beziehen (auch wenn sich auch darin etliche Fallstricke gebildet haben). Auch ich selber habe in meiner aktiven NAK-Zeit versucht, diese Position als rettende Möglichkeit in der Auseinandersetzung mit der gelehrten Gottesvorstellung einzunehmen und z.B. auch als Religionslehrerin darauf hingewiesen, wie gut es sei, dass wir nicht mehr in der Zeit des Alten Testamentes leben! Für mich selbst habe ich in dieser Zeit den Gedanken entwickelt, dass Gott sich erst im Zuge einer voranschreitenden ethischen Weiterentwicklung der Menschheit als all-liebender Gott offenbaren konnte, dass die Zeit vorher einfach noch nicht reif gewesen sei, „Feindesliebe“ zu verkünden und zu fordern… Vertiefen konnte ich solche Überlegungen allerdings nicht, eingedenk der Mahnung, zweifelnden Gedanken keinen Raum zu geben, und leider hat dieselbe Mahnung auch dazu geführt, dass ich mich nicht mit den Aussagen theologischer Literatur beschäftigt habe, denn hier griff natürlich die Indoktrination, dass Gott sich durch seine Boten, die Apostel der NAK, offenbart und dass die theologischen Lehren außerhalb der NAKzu jenem geistigen Gift gehören, dass man auf keinen Fall probieren sollte! (Wenn ich mir vorstelle, dass ich schon vor XX Jahren das Buch „Nein und Amen…“ von Uta Ranke-Heinemann hätte lesen können!)
Buchtipp! Auch heute noch lesenswert:
Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann „Nein und Amen: Mein Abschied vom traditionellen Christentum“, erschienen bei Hoffmann und Campe, Hamburg, 1992, ISBN: 3-455084575
Erst durch meine gegenwärtigen Reflektionen auch speziell in Bezug auf die Ausführungen von Jörns zu den Traumatisierungen durch das Gottesbild der Bibel, ist mir klar geworden , dass die Ängste, der ängstliche Glaubensgehorsam, nur durch die neuapostolische Sonderlehre ganz verständlich werden:
Wir mussten den grausamen Gott des „Alten Bundes“ mitnehmen und mit ihm auch all die daraus resultierenden Ängste, die um ein vielfaches erschreckender waren, weil sich aus der rückwärtigen Betrachtung eben auch unser zukünftiges Schicksal ableiten ließ!
Für nicht-NAKler sei das nun kurz erklärt:
Trotz der auch in der NAK verkündeten Jesulehre eines liebenden „Abba-Gottes“ blieb uns der unerbittlich sanktionierende Gott weiterhin erhalten. Ganz explizit wurde uns immer und immer wieder erklärt, dass wir in der „Zeit des neuen Bundes“ leben, in der die „Arche des neuen Testamentes“ gebaut wird, durch die wir vor den in der Offenbarung vorhergesagten Schrecken und Leiden errettet werden würden!
Der Gott des Alten Testamentes, der eine kleine gottwohlgefällige Truppe um Noah errettete und den Rest der Menschheit, inklusive der Babies und Kleinkinder, die ja gar keine Chance zu einer eigenen Entscheidung hatten und Noahs Aufforderungen zu Umkehr und Buße gar nicht folgen konnten, ohne Erbarmen grausam ertrinken ließ, arbeitet nach NAK-Lehre auch heute wieder nach dem gleichen Prinzip: Die NAK ist die „Arche des Neuen Testamentes“:
Es wird verkündet, eingeladen und ermahnt, noch sei Gnadenzeit und Gott wolle, dass allen geholfen werde! Den Kritikern, die der NAK Exklusivismus vorwerfen, wird von den einen naiv, von den anderen raffiniert entgegengehalten, es gäbe keinen Exklusivismus, denn jeder könne doch kommen und neuapostolisch werden, die Türen seien weit offen und alle seien eingeladen. Sogar die Toten hätten ja noch ihre Chance bei den sog. Entschlafenen-Gottesdiensten!
Es gibt keinerlei differenzierende Betrachtungen über kulturelle, soziologische, psychologische Bedingungen der Religionszugehörigkeit!!! Wer errettet wird, dem ist Gott gnädig, wer verloren geht, ist selber schuld – so einfach ist das, der offensichtliche Widerspruch entzieht sich dem gläubigen Tunnelblick…
Aber auch das glücklich durch Apostel „versiegelte“ Gotteskind ist seine Ängste ja nicht los, denn immer und überall besteht noch die Gefahr, den schmalen Pfad, die rettende Arche zu verlassen und damit selber für seinen ewigen Tod verantwortlich zu sein. -
Heute ist mir klar, dass die entsprechenden Ängste, der Glaube, dass Gott so unerbittlich sein kann, durch die unverändert aufrechterhaltenen traumatisierenden Gottesbilder des Alten Testamentes fortwährend gespeist wurden und dann zu geradezu absurd anmutenden Vorstellungen führten:
Die Überzeugung, dass dieser Gott tatsächlich einen absoluten Glaubensgehorsam
fordert und dass dieser Gehorsam jenen Menschen gegenüber zu üben ist, die als Boten Gottes, als Amtsträger in der NAK zu finden sind. Diese Forderung nach Glaubensgehorsam wurde sogar so detailliert
ausgearbeitet, dass gelehrt wurde, selbst fehlerhaften Ratschlägen der Amtsträger sei zu folgen – daran sei der Segen Gottes gebunden und Gott selbst würde durch höchstpersönliches Eingreifen in das
Lebensschicksal dafür sorgen, dass dem Gehorsamen durch das Befolgen eines falschen Rates dennoch kein Schaden entstehen würde; es würde im Gegenteil besonderer Segen zuteil…
Das hört sich verrückt an! - Schließlich bedeutet es ja sogar, dass Gott von uns verlangt, wider die eigene Erkenntnis, im Letzten sogar gegen das eigene Gewissen zu entscheiden und uns gehorsam
fremdbestimmen zu lassen!
Welche Bedeutung dabei auch biblische Aussagen hatten, wird mir klar, wenn ich mich daran erinnere, dass ich als älteres Kind eine Phantasievorstellung über die Geschichte von Abraham und Isaak entwickelt habe, in der ich mir ausmalte, an Abrahams Stelle die Tötung Isaaks von vorn herein verweigert, Gott aber die letzte Entscheidung überlassen zu haben, hoffend, dass Gott das akzeptiert haben würde. Schade, dass mir niemand etwas über die Möglichkeit erzählen konnte, die Bibel aus historisch-kritischer oder theologisch-kritischer Sicht zu betrachten.
Am besorgniserregendsten war für mich wohl die eigentlich sehr knappe Erzählung über „Lots Weib“: Deren Ungehorsam bestand aus nichts weiter als einem einzigen Blick zurück – und hatte ohne Wenn und Aber den unmittelbaren Tod zur folge! Was für ein Gott!!!
Dann war es vielleicht doch vorstellbar, dass ein einziges Softeis, zur falschen Zeit (nämlich zum Zeitpunkt der ersten Auferstehung, der Wiederkunft Christi) auf der Kirmes gekauft, dazu führen konnte, dass man zurückgelassen wurde, egal wie treu und gehorsam man auch vorher gewesen war…
Diesem Gott, dessen Darstellung im Alten Testament unreflektiert geglaubt und übernommen werden musste – dem war eben alles zuzutrauen, auch dass er ein Kind im Karnevalskostüm nicht erkennen wollen und es dem ewigen Verderben überlassen würde!
Nun gut – meine Kindheit liegt nun schon ein paar Jahrzehnte zurück, die Amtsträger, die mich im Kindergottesdienst und im Religionsunterricht gelehrt haben, waren einfache, gläubige und durchaus liebevolle Männer, Bergleute ohne längere schulische Ausbildung, geschweige denn Hochschulausbildung. Und auch gesamtgesellschaftlich gab es noch keine religionskritische Diskussion. Dass die Bibel eine heilige Schrift war, war allgemeiner Konsens; von historisch-kritischer Bibelwissenschaft hatte noch niemand etwas gehört.
Heute haben die meisten Amtsträger der NAK eine bessere Schul – und Berufsausbildung – aber es gibt immer noch keine ausgebildeten Theologen! Einzig Stammapostel Leber hat einen theologischen Berater an seine Seite geholt: Den Literaturwissenschaftler Priv.Doz. Dr. phil. habil. Reinhard Kiefer, der nebenher evangelische Theologie auf Lehramt studiert hat. Es ist aber zu vermuten, dass es dabei weniger um theologische Nachhilfestunden für Leber geht; als um die Gestaltung ökumenischer Kontakte…
Die in der letzten Zeit eingerichteten theologischen Wochenendseminare für Amtsträger, die ansonsten Vollzeit in einer Erwerbstätigkeit eingebunden sind, können eine fehlende theologische Ausbildung mit Sicherheit nicht ersetzen. Zudem gilt auch heute noch das Prinzip der Nachfolge und der Weitergabe des von den „Vorangängern“ gehörten als segensreiches Vorgehen,- selber denken oder gar theologiekritisch denken ist nach wie vor kein typisch neuapostolisches verfahren. Dennoch haben es die meisten AT durchaus geschafft, z.B. die Erkenntnisse der Evolutionslehre in ihren Bibelglauben zu integrieren, und damit sind sie den Kreationisten und Fundamentalisten auf der Seite der Evangelikalen schon ein gutes Stück voraus. Von dieser Seite aus kann es einem in einer Diskussion nämlich tatsächlich passieren, dass man als Werkzeug des Satans bezeichnet wird, wenn man wagt, die Bibel nicht mehr wörtlich zu nehmen und an dem Bild des unerbittlich richtenden und strafenden Gottes zu rütteln!
Warum auch Menschen, die es besser wissen könnten, weil ihnen die Erkenntnisse der historisch-kritischen Bibelwissenschaft ebenso zur Verfügung stehen wie theologische Literatur; ja die sogar stolz sind auf eigene Hochschulen (z.B. die Freie Theologische Hochschule Gießen) dennoch mit aller Gewalt an dem Bild dieses gewalttätigen und zornigen Gottes festhalten wollen (z.B. aus fundamentalistisch-evangelikalen Kreisen, wie Baptisten oder die Süddeutsche Gemeinschaft ) und Andersdenkende für Irrgläubige halten, die sich einen eigenen „Kuschelgott“ basteln, bleibt eine interessante, vielleicht noch zu untersuchende Frage…